Der Herr der Unruhe
Hitler lieb Kind, indem er ihn ins schöne Venedig einlud. Ein Jahr später bildete er plötzlich mit den Franz o sen und Briten gegen Deutschland die Stresafront. Aber die Verletzungen des Versailler Vertrages, die sich aus der Wiederbewaffnung des Dritten Reiches ergaben, duldete er trotzdem. Ja, mehr als das: Mit einem Mal fiel ihm die W e sensverwandtschaft zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und dem faschistischen Italien auf, und er b e kannte sich ‘36 zur ›Achse Berlin-Rom‹. Im Spanischen Bürgerkrieg stellte er unsere Soldaten im Schulterschluss mit der deutschen Legion Condor dem Generalissimo Fra n co an die Seite.«
»Mit den Österreichern ist er genauso wankelmütig u m gesprungen«, brummte Nico.
»Du sagst es. Gerade noch verhandelt er mit ihnen, weil sie fürchten, vom Deutschen Reich geschluckt zu werden, er lässt zu ihrem Schutz sogar fünfundsiebzigtausend Sold a ten an ihrer Grenze aufmarschieren, aber als Hitler sein Geburtsland plötzlich heim ins Reich holt, tut Mussolini nichts. Ich meine, er hat ja selbst im April Albanien g e schluckt. Vermutlich wollte er sich mit seiner Stillhalteta k tik schon mal im Voraus Hitlers moralische Unterstützung sichern. Dass die beiden inzwischen dicke Freunde sind, zeigt ja der ›Stahlpakt‹, den sie im Mai geschlossen haben. Damit hat uns Benito eine Momentaufnahme seiner schwarzen Seele gezeigt.«
»Inwiefern?«
»Das Abkommen schließt die gegenseitige Unterstützung bei Angriffen Dritter mit ein. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass im Moment alle Welt an einen baldigen Kriegsausbruch glaubt, findest du nicht?«
»Willst du damit andeuten, Manzini sei so eine Art Ve r bindungsoffizier unserer Militärs bei der Planung eines g e meinsamen Waffengangs?«
Bruno zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, was er da mit den Deutschen ausheckt, aber du solltest so eine Möglic h keit nicht ausschließen. Ich werde mich mal für dich umh ö ren. Wie hieß der große Unbekannte doch gleich?«
»Ich vermute, sein Name lautet Karl Liebe, weil Don Massimiliano ihn Amore nannte.«
»Mama braucht Liebe – wie rührend!«, frotzelte Bruno, wurde sofort wieder ernst. »Vielleicht hast du da ja tatsäc h lich etwas aufgeschnappt, mit dem wir diesen tollwütigen Hund Manzini zur Strecke bringen.«
Etwa eine Woche später – es war ein strahlender Monta g morgen, der einen heißen Augusttag verkündete – ve r ließ Nico wieder einmal durch den Hinterausgang das Ma n zini-Anwesen. Er hatte noch vor dem Frühstück einem Ventil a tor das Rasseln abgewöhnen müssen. Gedanke n versunken strebte er Albino, seinem weißen Motorrad, en t gegen, als plötzlich Laura vor ihm stand.
Sie trug ein weißes, weites, langes Kleid und einen ausl a denden Hut zum Schutz gegen die Sonne. Gerade schickte sie sich an, ihr Fahrrad zu besteigen. Nico fasste sich ein Herz, ergriff die Gelegenheit beim Schopf und legte seine Hand auf ihren Lenker.
»Guten Morgen, Donna Laura. So früh schon unte r wegs?«
»Nein, ich liege noch in meinem Bett«, gab sie spitz z u rück. Ihre Antwort war wie eine Ohrfeige. Sie stellte ihren Fuß auf die Pedale, um davonzuradeln, aber unvermittelt sprang die Kette ab. Dabei verlor Laura das Gleichgewicht, und allein durch Nicos beherztes Zugreifen wurde ein Sturz auf das Pflaster verhindert.
Einmal mehr drohte ihm der Duft von Jasmin die Sinne zu benebeln. Hinzu kam dieses betörende Gefühl, sie im Arm zu halten. Sie war so weich, so leicht …
»Danke, aber Sie können mich jetzt wieder loslassen.« I h re unmissverständliche Aufforderung bereitete seinem Schwelgen ein jähes Ende. Nur widerwillig fügte er sich ihrem Willen.
»Entschuldigen Sie, Donna Laura.«
»Was gibt’s da zu entschuldigen? Sie haben mich ja au f gefangen. Könnten Sie bitte für mich die Kette wieder au f legen?«
»Sehr gerne!« Nico machte sich sofort an die Behebung des Missgeschicks. Während er noch mit der fettigen Fah r radkette hantierte, versuchte er einen neuen Anlauf. »Was ich mit meiner Entschuldigung eigentlich sagen wollte: Finden Sie nicht, dass ich genug gebüßt habe?«
Ihre schwarzen Augen funkelten auf eine schwer zu de u tende Weise. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen, Herr Michel.«
Immerhin war sie ins Deutsche gewechselt, was Nico für ein gutes Zeichen hielt. »Ich denke schon, dass Sie es wi s sen, Donna Laura. Letztes Jahr im Oktober, da sind mir ein paar Dinge über Ihren Vater herausgerutscht, mit denen ich
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