Der Herr der Unruhe
hinein. Er rang wiederholt ächzend nach Luft, stieß sie aber jedes Mal wieder rasselnd aus. Schlie ß lich verkündete er aber doch: »Es geht um meine Leben s uhr.«
Natürlich hatte Nico so etwas längst vermutet. Dennoch traf ihn die Nachricht, als würde sein Körper plötzlich unter Strom gesetzt. Aber als er sprach, klang seine Stimme kühl wie die Luft über einem Schneefeld: »Sie reden von der Taschenuhr, die der jüdische Uhrmacher für Sie angefertigt hat. Wie hieß er doch gleich …?«
»Das tut nichts zur Sache, Signor Michel. Sie müssen die Uhr reparieren.«
»Was fehlt ihr denn?«
Laura kam ihrem Vater zuvor. »Bestimmt nichts Ernstes. Sie geht …«
»Kind!«, zischte Manzini mühsam beherrscht. »Halt en d lich deinen Mund. Davon verstehst du nichts. Du hast schon genug Schaden angerichtet. Setz dich da hin und sei einfach still.« Er deutete auf den runden Eichentisch.
Laura gehorchte, wenngleich man ihr ansah, wie es um ihre Gefühle stand. Ihre Augen glänzten von mühsam z u rückgehaltenen Tränen. Nico verspürte den unbändigen Drang, sie in die Arme zu schließen und zu trösten. Er zweifelte keinen Moment daran, dass ihr Unrecht wide r fuhr, und er war fest entschlossen, sie vor dem Jähzorn i h res Vaters zu beschützen.
Nachdem die Tochter sich gesetzt und der Vater ihr einen letzten strengen Blick zugeworfen hatte, richtete er das Wort wieder an seinen Doctor Mechanicae. »Ich denke, wir reden von ein und derselben Taschenuhr, Signor Michel. Sie befindet sich dort drüben.«
Nun, endlich, trat Manzini zur Seite und deutete mit au s gestrecktem Arm zur hinteren der beiden eckigen Holzsä u len, der Nico bisher wenig Beachtung geschenkt hatte. Auf Augenhöhe bestanden ihre Wände aus Glas und die vier Außenkanten aus silbrig glänzendem Stahl. Im Innern di e ser indirekt beleuchteten Vitrine stand auf einem gläsernen Boden eine Kiste aus poliertem Holz. Ihr Deckel stand o f fen. Und dann lag, gebettet auf schwarzen Samt, die Mei s teruhr.
Nico konnte sich später nicht erinnern, wie er zu dem Kasten gekommen war. Er stand vor der Säule und starrte durchs Glas. Die Unruh, durch die Öffnung im Zifferblatt deutlich zu erkennen, bewegte sich. Für Manzini mochte der Uhrmacher aussehen wie ein kleiner staunender Junge, aber diese Einschätzung verfehlte bei weitem Nicos wahre Gefühle. Sein Herz schlug wie wild, eigentlich, so glaubte er, müsste jeder seine Brust unter dem Jackett hüpfen s e hen. Rasch vergrub er die Hände in die Hosentaschen, weil er fürchtete, der Schweiß würde sonst in Strömen von ihnen herabtropfen. Er wollte etwas sagen, merkte aber sofort, dass seine Stimme versagen würde. Zum Glück nahm ihm Manzini diese Bürde ab.
»Sie ist wunderschön, nicht wahr?«
Nico nickte nur.
»Ihr Schöpfer war ein großer Meister.«
»Das glaube ich«, krächzte er.
»Leider ist er kurz nach der Fertigstellung der Lebensuhr verstorben, sonst hätte ich ihn herbeirufen können.«
Heuchler! Nicos Rechte verkrampfte sich in der Hosent a sche um das Messer, seinen ständigen Begleiter.
»Sie können die Uhr doch bestimmt wieder in Gleic h schritt bringen, nicht wahr, Herr Michel?«, meldete sich aus dem Hintergrund Lauras Stimme auf Deutsch.
Die Hand, die das Taschenmesser umkrallte, entspannte sich wieder. Nico drehte sich zu dem Mädchen um. Hatte sie mit Absicht gerade diese Wendung benutzt? Die ›Uhr in Gleichschritt bringen‹? Sonst sprach nur er so von den le b losen Dingen.
»Was hat sie gesagt?«, fragte Manzini.
»Sie ist überzeugt, dass ich Ihr Sorgenkind wieder hoc h päppeln werde. Könnten Sie das gute Stück für mich h e rausnehmen? Ich muss es untersuchen.«
»Selbstverständlich.«
Manzini setzte sich eine silberne Brille mit ovalen Gl ä sern auf. Danach zog er einen Schlüssel mit zwei Bärten aus der Tasche des Hausmantels, steckte ihn in ein Loch unter dem Glaskasten und drehte ihn dreimal herum. Ein leises Klicken war zu hören. Nun öffnete er die Vitrine, indem er ihre beiden Hälften auseinander klappte. Er nahm die Uhr aus der Holzschatulle und präsentierte sie Nico.
»Vorsichtig, Signor Michel! Lassen Sie sie ja nicht fa l len!«
»Keine Sorge, ich werde sie behandeln, als wäre sie nicht Ihre, sondern meine Lebensuhr.«
Manzini bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick. Das Antlitz des jungen Uhrmachers zeigte keine Regung. Ohne Zweifel war er beeindruckt von dem funkelnden Meisterwerk. Sehr behutsam ließ Don Massimiliano
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