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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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wie die meisten grei-sen Schließmechanismen: ein wenig störrisch, aber am Ende doch gutmütig. Die schwere Truhe dagegen, die er zur Seite drücken musste, forderte von seiner ohnehin nicht reichlich bemessenen Kraft einen unverschämt hohen Tribut.
    Atemlos ruhte er sich zwei, drei Minuten in der Dunkelheit aus. Er fühlte sich erschöpft, und ihm war kalt. Unwirsch kratzte er sich am Bauch. Wenn alles glatt ging, dann konnte er sich in zwei, höchstens drei Stunden ins Bett legen, um die nächste Welle von Schüttelfrost und Fieber durch seinen Körper hindurchrollen zu lassen. Aber bis dahin musste die Malaria noch warten.
    Die fünfundzwanzig Kilometer vom Castello nach Nettunia
    waren halsbrecherisch gewesen. Er hatte auf die Dienste von Albinos leuchtendem Auge verzichtet, um nicht die Aufmerksamkeit der deutschen Späher auf sich zu lenken. Westlich von Campo-morto, am Rand des Padiglione-Waldes, unterbrach er seinen Höl-lenritt, um Bruno die von Dr. Sägemüller erhaltenen Unterlagen zu übergeben.
    »Jetzt bist du einer von uns«, sagte der Partisan.
    »Rede keinen Unsinn. Du hast mir geholfen und ich dir. Nun sind wir quitt.«
    »Du hast das Zettelchen vergessen.«
    »Keine Sorge. Die ›Post‹ wird vor Mitternacht ausgeliefert.
    Aber danach ist Schluss.«
    »Mit diesem Wort wäre ich lieber vorsichtig, Nico. Wir befinden uns in einem Kampf, in dem es keine neutrale Ecke gibt. Du musst dich endlich entscheiden, auf welcher Seite du stehst.«
    »Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, Bruno: auf meiner.
    Massimiliano Manzini muss für seine Schuld büßen.«
    »Da sind wir einer Meinung. Aber es ist dir in mehr als fünf Jahren nicht gelungen, ihn unschädlich zu machen. Hilf mir, ihn zu bekommen, und wir machen kurzen Prozess mit ihm.«
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    »Vom Standrecht halte ich gar nichts. Ich sorge auf meine Weise dafür, dass er sich in aller Öffentlichkeit für seine Übeltaten verantworten muss.«
    »So leicht lasse ich dich diesmal nicht aus der Pflicht, amico mio. Nur mal angenommen, du scheiterst heute Abend – dann ist er der Gewinner. Willst du das wirklich zulassen?«
    »Könnte dir doch nur recht sein. Sollte das geschehen, dann hast du freie Bahn. Ich verspreche dir, deine ›Post‹ wie ausge-macht abzuliefern. Mit ziemlicher Sicherheit wird Don Massimiliano, nach der Blamage, die er heute Mittag erlebt hat, genau so reagieren, wie du dir das erhoffst.«
    »Und mit deiner Hilfe werden wir den Plan zum Erfolg füh-
    ren.«
    Nico stöhnte. »Also meinetwegen: Wenn ich heute leer aus-
    gehe, dann helfe ich euch. Aber das ist das letzte Mal, hörst du?«
    »Kann dich irgendetwas umstimmen?«
    »Gar nichts.«
    Bruno hatte den Waldboden angestarrt, als wollte er das
    feuchte Unterholz mit Blicken in Brand stecken. Schließlich nickte er. »Dann soll es so sein.«
    Auf der weiteren Fahrt nach Nettunia hatte sich Nico erbärmlich gefühlt. Er wurde das Gefühl nicht los, seinen Freund mehr als nur enttäuscht zu haben. Vielleicht stimmte ja, was Meister Johan einmal gesagt hatte. Jede Beziehung sei in ständiger Bewegung: Entweder sie wird stärker, oder man treibt voneinander fort, bis man sich aus den Augen verliert.
    Vom südlichen Stadtrand aus war Nico die letzten zwei Kilometer gelaufen. Im Schutz der Tamarisken, die auf der Uferpro-menade standen, näherte er sich der alten Stadt. Sie lag schwarz wie eine urtümliche, schlafende Riesenechse vor ihm. Mit Italiens Eintritt in den Krieg hatten auch die nächtlichen Verdunkelungen begonnen, und spätestens seit Nettunos Verwandlung in eine Geisterstadt war leises Auftreten die wichtigste Tugend, wollte man der Entdeckung durch die Besatzer entgehen. Inzwischen hatte Nico gelernt, sich fast lautlos zu bewegen.
    407
    Im Keller des Palazzo Manzini war es dunkel wie in einem
    Ofenrohr. Abermals musste er das Jucken am Bauch bekämpfen, bevor er seine neue Handlampe einschalten konnte. Das Schein-werferglas ließ sich mit Metalllamellen stufenlos abdecken. So konnte er die Lichtmenge im Bedarfsfall bis auf null reduzieren.
    Ein letztes Mal kontrollierte er sein Äußeres. Von den Schuhen über die Hosen und die Schlupfjacke bis zu der durchlöcherten Strickmütze, die er sich über den Kopf gestülpt hatte, war er ganz in schwarz gekleidet – ein dreidimensionaler Schatten. Vorsichtig bahnte er sich den Weg durch das herumstehende Gerümpel.
    Wenig später erreichte er über eine Nebentreppe das Erd-
    geschoss des Palastes. Er lauschte. Leise Stimmen

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