Der Herr der Unruhe
alberne Mütze vom Kopf und zeig mir dein Gesicht!«
Manzini umrundete den Schreibtisch, langte mit der freien Hand für einen Augenblick unter die Tischplatte und bewegte seinen massigen Leib dann bis auf anderthalb Schritte an den schwarzen Besucher heran.
Nico wusste nur einen Grund, warum sein Gegenspieler unter den Schreibtisch gegriffen hatte: Er musste einen Alarm ausgelöst haben. Ohne den Blick von der Waffe zu nehmen, hob er die Rechte, krallte die Finger in den Strickstoff und demaskierte sich mit einer trotzigen Bewegung.
»Sieh an, der Sohn des Uhrmachers!«, sagte Manzini amüsiert und fügte scharf hinzu: »Bist du bewaffnet?«
Nico stülpte demonstrativ seine Hosentaschen nach außen.
Alles, was dabei zutage trat, war ein Zettelchen, das unbeachtet zu Boden fiel. Ruhig erwiderte er: »Ich will keine Blutrache, falls 410
Sie das fürchten. Aber Sie haben noch etwas, das mir gehört. Ich bin gekommen, es mir zu holen.«
»Du sprichst doch nicht etwa von meiner Lebensuhr?«
Laute Stimmen hallten durch den Lichthof des Palastes, als würde sich unten eine ganze Hundertschaft formieren. » Ich bin der rechtmäßige Erbe. Sie haben die Rechnung nie bezahlt.«
»Das stimmt nicht ganz. Dein Vater hat eine stattliche Anzah-lung erhalten. Den Rest kannst du auf der Stelle kriegen.« Manzini hob die Hand, zielte auf Nicos Gesicht und drückte ab.
Die Waffe schwieg.
Klick, klick, klick!
»Geht das schon wieder los!«, grunzte Manzini. Ehe er die Pistole richtig fallen gelassen hatte, lag schon ein Springmesser in seiner Linken.
Nico stieß einen unwilligen Summlaut aus. Wie viel Zeit blieb ihm noch?
Manzini drückte auf den Knopf der Waffe, aber die Klinge
blieb im Griff. Dafür wurde das Summen seines Kontrahenten immer lauter.
Und dann ging das Licht aus.
Leise wie ein Schatten huschte Nico über den Teppich. Erst als er vor der Tür den blanken Boden betrat, bemerkte Manzini, wohin sein Gegenspieler entschwunden war.
»Stehen bleiben! Du steckst in der Falle.«
Nico riss die Tür auf und verschwand nach draußen.
Vom Treppenaufgang hörte er Stiefelgetrappel. Er warf einen raschen Blick über die Brüstung in den Innenhof. Unten brannte jetzt Licht. Fünf oder sechs Männer richteten ihre Maschinenpistolen auf ihn. Schnell zog er den Kopf zurück. Nun gab es nur noch eine Möglichkeit.
Die Tür des Arbeitszimmers flog auf, und Massimiliano Manzini stürzte auf die Galerie. Von den Treppen kam ihm eine Hand voll Männer der Banda Koch entgegen.
»Haben Sie ihn?«, blaffte der Hausherr.
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Hauptmann Zolfo krauste die Stirn »Ich dachte, Sie …«
»Unsinn!«, fiel ihm Manzini harsch ins Wort. »Wenn er
nicht über oder unter uns ist, dann muss er noch auf diesem Stockwerk sein. Rufen Sie Verstärkung und durchsuchen Sie alle Zimmer.«
Zolfo bellte einige Befehle in den Lichthof hinab, danach schickte er vier seiner Männer paarweise zum Nord- und Ostflü-
gel der Galerie.
Manzini wollte nicht warten, bis die anderen eingetroffen waren, sondern stampfte zur nächstgelegenen Tür, die zwischen seinem Büro und der Treppe lag. Sie führte in einen kleinen Ban-kettsaal.
Die Flurbeleuchtung warf einen gelben Lichtkeil mit der Sil-houette eines massigen Körpers in den Raum. Manzini betätigte den Schalter neben der Tür, aber es blieb dunkel. Der Hausherr lauschte. Von irgendwo hörte er ein leises Brummen. Sein Blick wanderte über die im Zwielicht liegenden Wände und Möbel.
Plötzlich verharrte er bei einem roten Schimmer.
Schnell kehrte er in den Wandelgang zurück und schrie:
»Hierher! Er ist im Essensaufzug.«
Eine Sardine, die in der Büchse steckt, ist wenigstens schon tot.
Wirklich tröstlich war dieser Gedanke für Nico nicht. Wie ein Zirkusartist zusammengefaltet, die Knie fast an den Ohren, glitt er langsam in die Tiefe. Zum ersten Mal schätzte er seine Schmächtigkeit.
»Beeil dich!«, drängte er den Lift, der sonst nur Wachteln oder Wildschweinbraten transportierte. Tatsächlich legte der Hebeme-chanismus noch etwas zu. Von oben vernahm Nico dumpfe Rufe.
Hatte man ihn schon entdeckt? Er entsann sich der Stimmen von Uberto und Viola, die er zuvor im Erdgeschoss gehört hatte. Hoffentlich waren die beiden nicht in der Küche. Dort würde seine Talfahrt nämlich enden.
Plötzlich blieb der Fahrstuhl stehen.
Nico stockte der Atem. Was jetzt? Um ihn herum schienen
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sich die Wände des Kastens zusammenzuziehen. Unvermittelt ruckte der Speiselift wieder
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