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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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nach oben. »Äh, ja … Sie sprechen Deutsch ?«
    »Ich habe sechs Jahre meiner Jugend in Wien verbracht.«
    »Davon wusste ich allerdings nichts. Das erspart mir die peinliche Radebrecherei mit meinem stümperhaften Italienisch. Geht es Ihnen nicht gut?«
    »Sieht man mir das an?«
    »Ich müsste lügen, wenn ich Nein sagen sollte.«
    »Haben Sie die Unterlagen, Doktor?«
    Der Arzt nickte. »Truppenstärke, Bewaffnung, Positionen der Vorposten et cetera, et cetera.«
    »Dann geben Sie sie mir. Ich werde sie an die richtigen Leute weiterleiten.«
    »Wenn Sie damit erwischt werden, wird man uns beide er-
    schießen.«
    »Warum helfen Sie der Resistenza dann?«
    »Ich war im letzten September in der Provinz Cueno stationiert und habe erlebt, wie SS-Einheiten zweiunddreißig Frauen und Männer aus Bove kaltblütig erschossen und anschließend das Dorf niedergebrannt haben. Ich bin Arzt. Ich habe den hippokra-tischen Eid geschworen, wissen Sie? Meine Pflicht ist es, Leben zu retten und nicht, dabei zu helfen, es zu zerstören.«
    »Verstehe. Geben Sie mir die Papiere, Doktor. Wenn ich zu-rückfahre, wird es bereits dämmern. Ich benutze Nebenstrecken.
    Ihre Patrouillen werden mich nicht schnappen.«
    Der Arzt reichte Nico einen schwarzen Aktendeckel, der mit einem breiten roten Gummi zusammengehalten wurde. »Warten Sie ein paar Tage, bevor Sie das Material einsetzen. Ich bin dann aus der Schusslinie. Nein, eigentlich eher das Gegenteil.«
    »Wieso?«
    401
    »Ich wurde nach Süden versetzt, an die Front.«
    Nico steckte sich die Akte unters Hemd in den Hosenbund.
    Während er sein Äußeres wieder in Ordnung brachte, fragte er:
    »Woran kann man eigentlich einen akuten Fall von TBC erkennen, Doktor?«
    »Leiden Sie unter Husten?«
    »Nein. Wieso?«
    »In ungefähr neunzig Prozent der Infektionen ist die Lunge die Hauptpforte, durch die der Erreger in den menschlichen Körper eindringt. Wenn er erst einmal sein zerstörerisches Werk aufgenommen hat, werden aber fast alle Organe von ihm befallen. Die Bakterien erzeugen dort einen so genannten ›Tuberkel‹. Das ist ein rundlicher Herd, der im Innern aus abgestorbenem Gewebe besteht. Für eine gründliche Diagnose ist natürlich die Analyse von Körperflüssigkeiten, in denen wir nach dem Tuberkelbakte-rium suchen, am besten geeignet. Aber das ist vergleichsweise aufwändig, weshalb wir uns meistens mit Röntgenaufnahmen
    von der Lunge begnügen.«
    »Und was sieht man auf so einem Bild?«
    »Warten Sie. Ich habe eine Fotografie.« Er ging zu einem
    Regal, zog ein dickes Buch hervor, blätterte einen Moment darin herum und zeigte Nico zwei Schwarzweißaufnahmen. »So sieht eine gesunde Lunge aus. Die da ist von einem Morbus-Koch-Patienten. Diese weißen Flecken hier oben an den Lungenspitzen sind typisch für akute Tb-Herde. Und das da weiter unten stammt von dem eingelagerten pathologischen Zellgewebe; wir nennen so etwas ›Infiltrate‹.«
    »Sieht aus wie dichte Spinnweben.«
    »Ziemlich gefährliche Spinne. Wieso wollen Sie das alles wissen, wenn Sie selbst keine Beschwerden haben?«
    »Hat Ihnen der Kontaktmann nichts gesagt?«
    »Nur, dass Sie eventuell in einem medizinischen Fall meine Unterstützung brauchen.«
    Nico lächelte. »So kann man es auch ausdrücken. Ich möchte Sie da um einen Gefallen bitten, Doktor Sägemüller.«
    402
    Als Guido Valletta das Kastell nördlich von Cisterna erreichte, dämmerte es bereits. Den Posten zeigte er seinen Passierschein, der ihn als Mitglied der Banda Koch identifizierte.
    Einer der Wachleute war Italiener. Er ging auf Distanz und sagte: »Gehen sie durch das Tor. Am Ende des Hofes finden Sie links eine Treppe. Dort hinunter. Der Stabsarzt erwartet Sie bereits.«
    Valletta fühlte sich wie ein Aussätziger. Missmutig stapfte er durch die Pfützen im Innenhof des Kastells, nahm die besagte Treppe und klopfte an die Tür.
    »Avanti!«, ertönte es von drinnen.
    Der ehemalige Geheimpolizist trat in einen Raum, der ihn an eine Folterkammer denken ließ. Er sah verschiedene, beunruhigend aussehende medizinische Instrumente, außerdem einen primitiven Tisch, eine Schreibtischlampe, ein Bücherregal, eine Untersuchungsliege, zwei weitere Türen und einen hellblonden Mann in weißem Kittel.
    »Mein Name ist Sägemüller. Ich bin hier der Stabsarzt«, be-grüßte dieser den Ankömmling kühl. Kein Händedruck. Er sprach mit hartem Akzent und sehr langsam, als müsse er jedes Wort erst gründlich abwägen. »Signor Valletta, nehme

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