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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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der Himmel würde in Brand stehen.
    Dass er bei den alliierten Truppen die Stelle als Mechaniker bekommen hatte, war nicht zuletzt der Fürsprache von Signora Tortora zu verdanken. Die als Inbegriff der Schlampigkeit beleumundete Witwe aus der Via Veneto war von nicht wenigen in Nettuno als deutsche Kollaborateurin verdächtig worden. Als daher nach der Landung der Alliierten der Jeep eines italo-amerikanischen Leutnants namens De Rubeis vor ihrem Haus hielt, glaubten alle, sie würde gleich in Handschellen abgeführt werden. Umso grö-
    ßer war die Verwunderung, als Signora Tortora von dem Offizier mit Dankesworten überschüttet wurde, weil sie den Alliierten so wertvolle Dienste geleistet habe. So entpuppte sich die Tortora als Geheimagentin des Secret Service, was nicht nur in Nico dei Rossis Kopf einige schief hängende Bilder zurechtrückte.
    So manches Mal fragte Nico sich allerdings, ob er seine Entscheidung, in der Stadt zu bleiben, nicht mit dem Leben bezahlen würde.
    Private Paul Brown – ein GI, mit dem sich Nico ein wenig
    angefreundet hatte – unkte einen Monat nach dem Anlaufen
    der Evakuierungsaktion, dass in vier Wochen kein einziges Haus mehr in der Stadt stehen werde. Vorher hätte sich Nico die Inszenierung des Fegefeuers nie so grausam vorstellen können, aber das purgatorio in Anzio und Nettuno brannte noch neun ganze Wochen lang.
    Vom 22. bis zum 24. Mai kulminierte der Wahnsinn des
    Krieges in einem ununterbrochenen Artilleriefeuer. Nico sah verwundete, betrunkene, durchgedrehte und immer wieder tote Soldaten. Am Abend des 25. – es war ein Donnerstag – stand er auf der nördlichen der beiden dem Meer zugewandten Bastionen des Forte Sangallo und blickte auf die bewegte See hinaus. Die Sonne hatte sich unter die Wolken geschoben und färbte die 488
    Schaumkronen rot. Plötzlich wurde sein Nacken steif, die Augen starrten auf einen mehrere hundert Meter entfernten Punkt im seichten Wasser.
    »Neptunia!«, hauchte er.
    Es war keine Fata Morgana. Jedenfalls hätte er diese Behaup-tung vehement abgestritten. Unter ihm ragte weißer Marmor aus dem Meer, Ruinen nur, aber in seiner Phantasie erwuchs daraus die mythische Stadt. Aus seiner Erinnerung stiegen Donna Genovefas Worte auf, die ihn mit Hoffnung und zugleich mit Verzweiflung erfüllt hatten.
    »Wenn du sie wirklich liebst, dann wird das Unmögliche geschehen.« Sein Murmeln wurde vom Wind aufs Meer hinausge-
    tragen.
    Hinter ihm ertönten Schritte. Er drehte sich um. Private
    Brown eilte auf ihn zu. Paul war ein mittelgroßer Afroamerikaner aus der 45. Infanteriedivision mit einem Hang zur Schwermut, den er leider allzu oft im Alkohol ertränkte. Nico brachte den häufigen Stimmungstiefs des Kameraden ein gewisses Verständnis entgegen, weil Pauls vordringliche Aufgabe in der Registrierung der KIAs bestand. Killed in action. Seine Liste der gefallenen Kameraden war einfach zu lang, um sich ein fröhliches Gemüt zu bewahren.
    »Nico«, rief der Soldat überschwänglich, bevor er ganz die Steinbrüstung erreicht hatte. »We got it!« – Wir haben’s geschafft.
    »Keine Ahnung, was du meinst, Paul.«
    »Lucas und Clark können sich die Hände reichen. Der Brü-
    ckenkopf und die 5. Armee haben die Gustav-Linie durchbrochen und die Deutschen Einheiten vom Nachschub abgeschnitten. Der Highway 7 ist in unserer Hand. Nur noch eine Frage der Zeit, bis wir auch den 6er gepackt haben.« Er grinste, weil er glaubte, ihm sei gerade ein tolles Wortspiel gelungen.
    In Nicos Hinterkopf dämmerte etwas, das er noch nicht deutlich erkennen konnte. Er starrte erst in Pauls große weiße Augen, dann zu den marmornen Mauern im Meer und mit einem Mal
    glaubte er zu wissen, wohin Laura geflohen war.
    489
    Drei Tage später rollte Nico zwischen Cornedbeefdosen und Colaflaschen in Richtung Norden. Der Truck quälte sich die Albaner Berge hinauf. Sein Ziel war die Straße Nummer 7, die Rom mit Cisterna verband, das vor zwei Tagen gefallen war. Weiter östlich hatten Amerikaner und Briten die Fernstraße 6 in die Mangel genommen. Man rechnete innerhalb der nächsten Stunden mit einer Vereinigung der beiden Armeen. Der deutsche Widerstand bröckelte an allen Linien, aber er war noch nicht endgültig gebrochen. Erst in der letzten Nacht hatte es wieder schwere Bombardements gegeben.
    In Genzano di Roma sprang der Mechaniker von der Lade-
    fläche und bedankte sich beim Fahrer. Der Motor des Trucks brüllte auf und tuckerte mit dem gepökelten Rindfleisch

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