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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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geflüchtet sein?
    Weil eine schnelle Besserung der Situation nicht abzusehen war, hatten die Amerikaner am 18. Februar mit der Evakuierung der Zivilisten begonnen. Kinder, Frauen und Männer wurden nach Sizilien, Kalabrien und Kampanien verschifft, wo man zu ihrem Schutz Evakuierungszentren eingerichtet hatte. Nico konnte sich nicht vorstellen, an einem anderen Ort zu sein als hier, wo sich Laura irgendwo versteckt halten musste.
    Es war der 21. Februar. Nachmittag. Es nieselte. Die GIs
    checkten im Hafen von Anzio immer noch Menschen aus ihrer 485
    Heimat aus. Gerade galt White Anzio, was so viel bedeutete wie:
    »Alles klar, der Feind hält still.« Trotzdem herrschte eine über-reizte Stimmung, denn der Status wechselte zur Entnervung aller nicht selten mehrmals täglich zu Yellow Anzio – »Passt auf, es wird brenzlig!« – oder sogar Red Anzio – »Vom Himmel fällt die Hölle runter.« – und wieder zurück. Auf der engen Mole reihten sich Lastwagen, von deren Ladeflächen Dutzende Personen stiegen. Alle Wagen mussten warten, weil das vorderste Fahrzeug am Kai streikte. Nico stand nur wenige Schritte entfernt und beobachtete die Szene.
    Der für die Einschiffung zuständige Sergeant, ein bulliger kleiner Italo-Amerikaner, kam fluchend die Mole heraufgelau-fen. »Schaff so schnell wie möglich deine Karre hier weg, Tom«, schnauzte er den Fahrer an.
    Der Mann am Lenkrad kaute auf einem Zahnstocher herum
    und erwiderte ungerührt im breitesten Südstaatendialekt: »Kein Problem, Luke. Ich nehm den Truck auf die Schulter und schlepp ihn zum Depot zurück.«
    »Dann hole gefälligst einen Abschleppwagen.«
    »Die sind alle überlastet. Dauert bestimmt ’ne Ewigkeit, bis endlich einer hier aufkreuzt. Die Mole is’n verdammter Schieß-
    stand, Luke. Wenn Red Anzio kommt, dann veranstalten die Krauts ’n Preisballern auf uns.«
    »Er hat Recht«, mischte sich Nico in den Dialog ein.
    »Mischen Sie sich da nicht ein«, blaffte ihn der Sergeant an.
    Mit einem Mal stutzte er. »Sie sprechen Englisch?«
    »Meine Mutter stammt aus Greenwich.«
    »Greenwich, Ohio?«, fragte der Fahrer.
    »Niemals, Tom«, widersprach der Sergeant. »Hör dir doch
    seine Aussprache an.« Sich wieder Nico zuwendend, tippte er:
    »Ich wette, Ihre Mutter ist in New Jersey geboren, Sir.«
    »Nein, in London.«
    »Aber das ist doch in Ohio«, beharrte der Mann im Truck.
    »Quatsch!«, widersprach der Sergeant. »Das liegt am Eriesee, drüben auf der kanadischen Seite. Ich komme aus der Gegend.«
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    »Eigentlich rede ich von dem London an der Themse«, präzisierte Nico.
    »Ohio?«, fragte Tom.
    »England.«
    Die beiden Soldaten sahen sich verständnislos an.
    »Wenn Sie möchten, schaue ich mir Ihren Truck an«, schlug Nico vor.
    »Verstehen Sie denn was davon?«, fragte der Sergeant.
    »Manchmal schon. Darf ich mal?« Er deutete zum Führerhaus hinaus.
    »Wegen mir. Ich gebe Ihnen sechzig Sekunden.«
    Der Transporter sprang bereits nach der Hälfte der Zeit an.
    Tom fand das ziemlich erstaunlich. »Wie hast du das gemacht, Kamerad?«
    »Mein Name ist Nico. Maschinen und Apparate sind meine
    Passion.«
    Tom fiel der Zahnstocher aus dem offen stehenden Mund.
    »Das ist ein römisch-katholisches Wort«, erläuterte der Sergeant für seinen staunenden Kameraden. »Hat irgendwas mit Leidenschaft zu tun.«
    »Könnte ich bei Ihnen arbeiten?«, fragte Nico nun freiheraus.
    »Sie wissen doch, dass alle Zivilisten in die Evakuierungszentren verbracht werden sollen.«
    »Und Sie wissen sicherlich, dass manche Einwohner der Stadt sich nicht von ihrer Scholle vertreiben lassen werden. Die Höhlen, in denen sich Ihr Oberkommando in den ersten Tagen nach der Landung versteckt hat, davon gibt es noch viele hier. Wäre doch besser, ich könnte mich bei Ihnen nützlich machen, als wenn ich da irgendwo unterkrieche, finden Sie nicht?«
    Der Sergeant brauchte einen Moment, um die Verflechtungen des Gesagten zu erfassen. Schließlich grinste er. »Na meinetwegen. Melden Sie sich beim Kommando in der Villa Borghese und sagen Sie denen, Sergeant Luke D’Annibale hat Sie geschickt. Ich käme später vorbei, um Ihre Bewerbung zu unterstützen.«
    »Danke«, sagte Nico freudig und eilte davon.
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    Die deutschen Bomber kamen vor allem nachts. Obwohl sich
    die Flakgeschütze der Alliierten von Tag zu Tag besser auf sie einschossen und immer mehr von ihnen herunterholten, flogen sie bis zum Fall der Gustav-Linie ständig neue Einsätze. Mitunter glaubte Nico,

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