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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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letzten Worte seines Vaters erfüllt, als wären sie eine düstere Prophezeiung gewesen, ein zum Bann gewordenes Gedicht.

    Achte gut auf deine Lebensuhr!
    Und bebe vor Furcht!
    Denn wenn ihr Zeiger verschwindet
    und die Unruh erstarrt,
    kommt mit ihr auch dein Leben zum Stehen,
    wird für immer vergehen.

    Nico suchte mit den Augen den Boden ab. Er konnte den Stundenzeiger nirgends finden. Also bettete er die Überreste der Uhr sanft 480
    wie die Gebeine eines verstorbenen Freundes auf den schwarzen Samt und schloss mit leisem Klappen die Kiste.
    Sein Blick fiel auf das wie eine groteske Maske aussehende Gesicht des Mannes, der in seinem Leben so viel Leid verursacht hatte. Nico schüttelte den Kopf. Andere Worte, die sich seinem Gedächtnis vor einer Ewigkeit eingegraben hatten, drängten mit einem Mal wieder hervor.
    »›Mach deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt! Fort musst
    du, deine Uhr ist abgelaufen.‹«
    »Das ist aus Schillers Tell, nicht wahr?«, meldete sich plötzlich eine Stimme von der Tür.
    Nicos Kopf ruckte herum. Überrascht sah er die Gattin des Verstorbenen auf sich zukommen. Hatte sie eine Waffe? Wollte sie den Toten rächen? Weder für das eine noch das andere konnte er irgendwelche Anzeichen erkennen. Sie durchquerte ruhig den Raum, blieb neben ihm stehen und sah mit unbewegtem Gesicht auf ihren verblichenen Gemahl.
    »Ich habe lange in der Schweiz gelebt. Wilhelm Tell ist dort Nationalheld«, sagte sie unvermittelt und riss sich erst dann vom Anblick des Hingeschiedenen los.
    Nico starrte sie nur ungläubig an. Die ganze Situation kam ihm irgendwie surreal vor. »Ich …«, stotterte er. »Sein Herz …
    ich vermute, es war ein Herzanfall. Seine Lebensuhr –« Nico zeigte ihr die Kassette – »ist stehen geblieben. Sie wurde von meinem Vater gebaut. Er hat Don Massimiliano verflucht, nachdem der ihm ein Messer in den Leib gerammt hatte. Sie wissen ja, wie abergläubisch Ihr Mann war. Der Fluch muss ihn dermaßen verängstigt haben, dass er einfach tot umgefallen ist.«
    »Oder der Bann des Uhrmachermeisters existierte wirklich.«
    Nico musste an den verschwundenen Zeiger denken und
    schluckte. Unbehaglich sah er auf den Toten hinab.
    »Ich glaube, Signor dei Rossi, Sie haben heute auch von mir einen Fluch genommen.« Sie schloss sich Nicos Blicken an.
    »Sie haben von ihm nicht viel Zuneigung erfahren, habe ich Recht?«
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    »Nicht mehr, seitdem ich die Fehlgeburt hatte. Aber Sie werden lachen – ich habe ihn trotzdem geliebt.«
    Chaotisch wäre wohl der passende Ausdruck, um Nicos See-
    lenzustand zu beschreiben, doch Genovefas Äußerung ließ plötzlich Ruhe einkehren. Vor seinem inneren Auge erschien wieder klar das Bild, das ihn überhaupt hierher geführt hatte. »Der erste Schritt zu einer guten Entscheidung ist die Erkenntnis, dass es überhaupt mehr als eine Deutung gibt«, murmelte er.
    »Was sagten Sie, Signor dei …?«
    Nico drehte sich ganz zu Manzinis Witwe um und ergriff ihre Hände. »Donna Genovefa, ich muss zu Laura. Bitte sagen Sie mir, wo ich sie finden kann.«
    »Sie ist fort …«, antwortete die Gefragte seltsam tonlos. Ihre Augen schienen jenseits der Mauern nach der Stieftochter zu suchen.
    »Hat sie nicht wenigstens angedeutet, wohin?«
    Genovefas Aufmerksamkeit kehrte zum Herrn der Unruhe zu-
    rück. »Laura sagte, wenn du sie wirklich liebst, mein Junge, wirst du sie finden.«
    »Das ist alles?«
    »Nein, sie fügte noch etwas hinzu, aus dem ich nicht schlau geworden bin …« Wieder schien ihre Konzentration abzuschwei-fen.
    »Donna Genovefa! Wenn ich Laura finden soll, muss ich alles wissen.«
    »Sie sagte, wenn du sie wirklich liebst, dann wird das Unmögliche geschehen …« Die irgendwie verstört wirkende Frau ließ Nico lange warten, bis sie ihre Hände unvermittelt aus seinem Griff befreite. Wie eine treu sorgende Mutter wischte sie ihm mit den Fingern über die linke Schulter, als wolle sie Krümel aus dem schwarzen Wollstoff kehren. »Hat dich da ein Engel berührt?«
    Er schielte auf die Stelle hinab und entdeckte schemenhaft einen weißen Handabdruck. Unwillkürlich musste er lächeln.
    »Wenn die Himmelsboten neuerdings Brot backen.«
    Ihre Stirn krauste sich.
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    »Der Abdruck muss von Orlando Castaldi stammen, dem Bä-
    cker. Er hatte mir seine Hand auf die Schulter gelegt«, erklärte Nico.
    Sie nickte verstehend. »Manchmal begegnen uns die Engel in merkwürdigen Verkleidungen. Wenn du dich jetzt auf die Suche begibst, dann halte Ausschau

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