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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Kornblums, die weiter unten in der Porzellangasse lag, auf das Haus Nummer 30 zu. Einige der Männer trugen Handlampen, andere hielten Fackeln. Die meisten waren mit Knüppeln oder sonstigen Gegenständen bewaffnet, die sich als Waffen zweckentfremden ließen.
    »Wir können sowieso nichts dagegen tun«, entgegnete Johan schicksalsergeben. »Vielleicht ist ihre Zerstörungswut verraucht, bis sie hier ankommen.«
    In Nico tobte ein Sturm. Sollte er ein weiteres Mal tatenlos zusehen, wie geliebten Menschen Schaden zugefügt wurde? Er schüttelte langsam den Kopf. »Nein. Wenn sie das Geschäft des Fleischhauers zerstört haben, werden sie auch unseres nicht schonen. Ich muss etwas unternehmen.«
    »Hast du den Verstand …?« Weiter kam Johan nicht, denn
    Nico war schon losgelaufen.
    Auf dem Flur riss der Geselle seine grüne Lodenjacke vom
    Bügel, schlüpfte in die Straßenschuhe, ohne sie zuzubinden, und rannte hinaus. Während er die Treppe hinabeilte, kamen ihm erste Zweifel. Wie sollte er den Mob aufhalten? Die Kerle hatten nicht so ausgesehen, als würden sie sich von einem schmächtigen Uhrmachergesellen den Spaß verderben lassen.
    Zwei Stockwerke tiefer versperrte ihm auch noch »das Auge«
    Hrdlicka den Weg. »Jetzt geht’s deinen Leuten an den Kragen«, geiferte sie.
    Nico ballte die Fäuste, schob sein Gesicht ganz dicht vor das ihrige und zischte: »Geben Sie Acht, dass es nicht gleich Ihnen an den Kragen geht, Frau Hrdlicka.«
    Die Witwe zeigte sich beeindruckt. Sie riss Augen und Mund auf. »Du wirst doch nicht …«
    Nico drückte sich an ihr vorbei und lief die Treppe hinab.
    »Eins nach dem anderen, Frau Hrdlicka.« Je weiter er sich von ihr entfernte, desto mehr wuchs ihr Mut. »Schäm dich, Niklas«, rief sie ihm nach. »Trägst den Namen eines unserer Heiligen und hilfst diesem Judenpack.«
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    Nico wurde für einen Moment langsamer. Gerade hatte ihm
    »das Auge« verraten, wie er sich der wilden Meute erwehren konnte. »Danke, Sie haben mir sehr geholfen«, rief er über die Schulter und sorgte damit bei Frau Hrdlicka für ein gewisses Maß an Irritation.
    Endlich erreichte er die Straße. Die Südfront des Eckhauses lag an der Grünentorgasse, deren Fahrbahn der Pöbel gerade als Aufmarschgebiet benutzte. Einige Randalierer trugen Dachlatten, andere Vorschlaghämmer und sogar Äxte. In wenigen Augenbli-cken würde die Horde den Uhrenladen erreichen. Nico baute sich vor dem Schaufenster auf, hinter dem einige größere und kleinere Auslagen munter tickten.
    »Keine Angst, meine Lieben, es geschieht euch nichts«, murmelte er, wohl hauptsächlich zur eigenen Ermutigung.
    Erste Unruhestifter trafen ein. Die Vorhut bildete ein kaum volljähriger Fleischberg mit dünnem Schnauzbart und ein Kerl, der Nico an eine wandelnde Reitpeitsche mit Pockennarben denken ließ. Während Ersterer auf ihn nicht den Eindruck eines gro-
    ßen Redners machte, ergriff Letzterer umgehend das Wort. »Weg da!«, fauchte er. Im Hintergrund skandierte der Männerchor immer noch sein »Juda verrecke!«.
    »Ich …« Nicos Stimme zerbrach wie ein trockener Keks. Er
    musste sich räuspern, um ihr mehr Festigkeit zu verleihen. »Das hier ist mein Laden. Euch habe ich hier noch nie gesehen. Also besser, ihr verschwindet, bevor ich die Polizei rufe.«
    Das Narbengesicht grinste. »Hört euch das an! Die Judensau wird auch noch frech. – Horst.«
    Horst war offenbar der Fleischberg, denn allein die Nennung des Namens genügte, um ihn in Bewegung zu setzen.
    »Halt!«, riet Nico und streckte dem menschlichen Rammbock die Handfläche entgegen. Der Massige war so viel Gegenwehr anscheinend nicht gewohnt und zögerte.
    »Ihr seid hier an der falschen Adresse. Ich heiße Niklas Michel. Ist das etwa der Name eines Juden? In meinem Ausweis steht schwarz auf weiß, dass ich katholisch bin. Wenn ihr wollt, 190
    kann ich ihn euch zeigen – vorausgesetzt jemand von euch ist des Lesens kundig.«
    Horst drehte sich Hilfe suchend nach dem Dünnen um. »Toni?«
    »Das kann nicht sein«, beharrte der. Seine nörgelnde Stimme klang ein wenig wie die eines verschnupften Marktschreiers. » Das Uhrengeschäft gehört dem Mezei – einem Juden. Du kannst aus dem Weg gehen, dann tun wir dir nichts, aber wenn du dich von der Judensau freihalten lässt, dann wirst am Ende du die Zeche zahlen.« Die Reitpeitsche machte Anstalten, handfeste Fakten zu schaffen, doch abermals hielt sie Nicos Gegenrede zurück.
    »Ich genieße die Protektion des

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