Der Herr der Unruhe
Hoffen, mein Junge.«
Er wich dem strengen Blick des Meisters aus. Manchmal
schien Johan Mezei bis auf den Grund seiner Seele blicken zu können. Was war falsch daran, den Mörder seines Vaters einer gerechten Bestrafung zuzuführen?
Ein Moment der Stille trat ein. Johan schien mit sich zu ringen. Schließlich sagte er: »Erinnerst du dich, was ich neulich über einen Neuanfang in einem anderen Land gesagt habe?«
»Ob du und Tante Lea aus Wien fortgehen sollen, meinst
du?«
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Johan nickte. »Ich spüre es in meinen morschen Knochen
dass jetzt der Zeitpunkt dafür gekommen ist. Auf verlorenem Posten auszuharren ist wohl das Dümmste, was man tun kann. Das hat nichts mit Feigheit zu tun. Merke dir das gut, Junge: Wenn der Feind dir auf die Pelle rückt, dann zieh dich in eine sichere Stellung zurück.«
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Nettuno, 1939
ico fragte sich, wie lange er noch sicher sein würde. MögliN cherweise sollte er den »Vorposten«, das Domizil seines ärgs-ten Feindes, räumen. Er könnte sich außerstande erklären, die Lebensuhr weiter zu pflegen. Don Massimiliano würde das nicht gefallen, aber zwingen konnte er den »Herrn der Unruhe« nicht.
Wenn nur Uberto ein wenig durchschaubarer wäre! Manchmal
benahm sich der tumbe Chauffeur wie ein netter Arbeitskollege, dann wieder schlich er gleich einem großen Raubtier durch den Palazzo Manzini oder beobachtete den Hüter der Lebensuhr aus dunklen Winkeln. Ob er am Sonntag sofort zu seinem Herrn
gelaufen war, um ihm von dem Lauscher in den Schatten zu berichten?
Nachdem Nico den Stadtvorsteher in fast brüderlicher Ein-
tracht mit dem Judenjäger Karl Hass beobachtet hatte, fühlte er sich mehr denn je innerlich zerrissen. Er glaubte zu spüren, wie sich sein Lebensschiff im Fluss der Zeit gefährlichen Strom-schnellen näherte. Es würde unweigerlich kentern und untergehen, wenn er das Ruder nicht fester als bisher anpackte. Aber wie konnte er seinen Gegner zur Strecke bringen, bevor dieser ihn ausschaltete? War ein Sieg überhaupt möglich, ohne Laura zu verlieren?
Von diesen Überlegungen gelähmt, war zwischen ihnen am
Sonntag, während er sich lustlos mit der Lebensuhr beschäftigte, kein vernünftiges Gespräch in Gang gekommen. Er hatte Laura nach dem deutschen Besucher gefragt.
Sie reagierte mit einem verhaltenen »Warum?«
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»Der Mann ist bei der SS. Weißt du, was das bedeutet?«
»Wieso nur habe ich manchmal das Gefühl, du hältst mich
für ein dummes Gör? Natürlich weiß ich, was das heißt: Schutz-staffel. Hitler hat sie zur Niederschlagung des kommunistischen Terrors ins Leben gerufen. Der Duce und der Papst sind genauso daran interessiert. Und mein Vater hasst alle Bolschewisten.«
»Das ist …!«, japste Nico, schnitt sich aber sofort selbst das Wort ab. Draußen lauerte Uberto. Flüsternd fuhr er fort: »Laura, die SS wurde 1925 gegründet, als die NSDAP noch nicht das war, was sie heute ist. Hältst du es für möglich, dass sich an ihren Aufgaben inzwischen einiges … geändert haben könnte?«
»Was zum Beispiel?«
»Sie könnten Jagd auf Juden machen.«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Ich habe in Wien so einiges gesehen und gehört.«
Lauras Ton wurde hörbar kühl. »Du fängst doch nicht schon wieder damit an, meinem Vater irgendwelche Gemeinheiten zu unterstellen, oder etwa doch? Worauf willst du hinaus, Niklas?«
Sein Mund öffnete sich, er starrte in ihre dunklen Augen, schüttelte den Kopf und stammelte: »Vergiss es.«
Vier Tage später hatten sich die Wogen geglättet. Als Nico am Donnerstag Früh um acht das Privatbüro des Podestà betrat, hakte sich Laura bei ihm unter und flüsterte in sein Ohr: »Hast du Lust, heute mit mir ins Lichtspielhaus zu gehen?«
Immer wenn sie ihm so nahe war, spürte er einen wohligen
Schauer. Trotzdem gab er zu bedenken: »Ich habe mal dem au-tomatischen Klavier, das dem Besitzer des Cinema Arena Italia gehört, die Flötentöne beigebracht. Er wird mich bestimmt …«
»Für wie einfältig hältst du mich eigentlich?«, fiel sie ihm, scheinbar empört, ins Wort. »Mir ist schon klar, dass wir nicht hier in Nettuno durch die Via Romana bummeln oder ins Cinema Sangallo gehen können, ohne dass uns mindestens die Hälfte der Zuschauer erkennt. Wir werden uns einen schönen Abend in
Anzio machen.«
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»Hm. Was für einen Film gibt’s?« Eigentlich war ihm das völlig egal, denn bisher hatte er Laura noch nie ausführen dürfen.
»Einen deutschen. Ich dachte mir, das
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