Der Herr der Unruhe
verzweifelt den Kopf. Warum hatte er nur
dieses Gespräch begonnen, wenn es doch in Wirklichkeit um etwas ganz anderes ging? Jetzt war er in seinen eigenen Worten gefangen. Mutlos sagte er: »Überleg doch mal selbst, Laura: Ihr seid reich, ich bin nichts als ein Uhrmacher, der für deinen Vater Pumpen repariert. Wenn er spitzkriegt, dass wir beide heute Abend …«
»Das ist mir egal«, fauchte sie. Eine Träne rollte ihre Wange hinab.
Nico starrte dieses Gesicht an, das er am liebsten in seine Hände nehmen und unablässig küssen wollte. Er brachte kein Wort heraus.
»Niklas«, begann endlich wieder sie in einem flehenden Ton, der direkt ihrem Herzen zu entspringen schien. »Du bedeutest mir sehr viel! Mehr als ein Verbot meines Vaters. Aber das heißt nicht, dass ich ihn nicht liebe. Wenn du ihm unlautere Dinge unterstellst, die du nicht beweisen kannst, dann wird unsere Freundschaft daran zerbrechen. Ich möchte dir nicht drohen, Niklas, weil ich dich … mag. Du sollst mich nur verstehen.«
Sein Kopf wurde unsagbar schwer, viel zu bleiern, um ihr
noch länger in die Augen zu schauen. Nico brachte gerade noch ein Nicken zustande und ein leises »Das war mehr als deutlich.
Ich habe dich sehr gut verstanden.«.
Am Morgen nach dem Kinobesuch betrat Nico wie gewohnt um
acht Uhr den Palazzo Manzini. Laura empfing ihn mit verschlossener Miene.
»Ist irgendwas?«, fragte er, während sie ihn nach oben führte.
Ihre Antwort fiel knapp aus.
»Mein Vater weiß Bescheid.«
204
Sein Herz setzte einen Schlag aus. »Was meinst du damit?«
»Jemand hat uns gestern vor dem Lichtspielhaus gesehen und nichts Besseres zu tun gewusst, als ihn gleich heute früh anzuru-fen.«
Nico stöhnte. »Und wie hat er reagiert?«
»Seltsam. Ich hatte gedacht, er würde einen Wutanfall kriegen, aber er blieb ganz ruhig.«
»Ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll.«
»Ich kenne meinen Vater lange genug, Niklas. Er brütet irgendetwas aus, aber frag mich nicht, was das sein könnte.«
Er versuchte zu grinsen, mit bescheidenem Erfolg. »Schade.
Ich hatte gehofft, du könntest meinen Hals retten.«
Sie drückte unauffällig seine Hand. »So schlimm wird’s schon nicht werden.«
Inzwischen hatten sie die Galerie vor dem Arbeitszimmer erreicht. Uberto stand an der Brüstung und bewunderte im Lichthof den Adam. Laura ließ sich zurückfallen. »Er will dich allein sprechen.«
Nico blieb auf Höhe des Chauffeurs stehen. »Guten Morgen, Uberto.«
Der Fahrer nickte ihm wortlos zu und deutete auf die Tür.
Nach Nicos zweimaligem Klopfen erklang von drinnen ein
vernehmliches »Herein!«. Er öffnete die Tür und trat in das Arbeitszimmer.
Manzini saß an seinem Schreibtisch, die Ellenbogen auf die Platte gestützt, die Hände gefaltet. »Treten Sie näher, und nehmen Sie sich einen Stuhl, Signor Michel.«
Der Hüter der Lebensuhr kam der Anweisung ohne allzu gro-
ßen Enthusiasmus nach. Als er sich, mit einem Stuhl vom Besprechungstisch in den Händen, dem Podestà zuwandte, entdeckte er zu seiner Rechten etwas, das ihn überraschte. Die zweite der beiden viereckigen Säulen, die er bisher für massiv gehalten hatte, enthielt einen Tresor. Hinter der hölzernen Verblendung befand sich eine dicke, mit einem Zahlenschloss versehene Stahltür, die Nico zum ersten Mal offen stehen sah.
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In dem Sicherheitsschrank stapelten sich etliche Aktenmappen aus braunem und schwarzem Karton. Und ganz unten lag
noch etwas anderes, dessen bloßer Anblick Nico fast von den Beinen riss: ein in dunkelbraunes Leder gebundenes Buch. Er hatte es sofort wiedererkannt. Vor Jahren waren in dieser Kladde alle Aufträge seines Vaters vermerkt worden, auch der letzte, dessen Rechnung immer noch offen stand.
Erst der starrende Blick seines Mitarbeiters schien Manzini an den unverschlossenen Safe zu erinnern. Er sprang überraschend behände aus seinem Stuhl auf, eilte zum Schrank und warf die Tür ins Schloss. Sichtbar gemächlicher kehrte er anschließend zum Schreibtisch zurück und nahm wieder seine ursprüngliche Haltung ein. Ohne erkennbare Regung beobachteten seine dunkel funkelnden Äuglein den jungen Mann beim Herbeischaffen und Abstellen des Stuhls. Ab und zu zuckte sein schwarzer Schnurrbart.
»Ich muss mit Ihnen reden, Signor Michel«, eröffnete er
endlich das Gespräch. Nico hatte sich inzwischen gesetzt. Noch immer ein bisschen benommen, nickte er.
»Ihre Tochter hat schon so etwas angedeutet. Es geht um gestern Abend,
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