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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Aufziehen und Bewegen der Lebensuhr bewachen durfte. Bisweilen widmete sich der Podestà des vereinigten Nettunia dieser Aufgabe nun höchstselbst. Meis-208
    tens musste der Herr der Unruhe jedoch mit dem tumben Chauffeur Uberto als Gesellschafter vorlieb nehmen.
    Wie sich bald herausstellte, war das nicht einmal das
    Schlimmste. Nico hatte schon lange vermutet, dass Uberto mit seinem schroffen Gehabe nur die eigene Unsicherheit bemäntelte.
    Manchmal verhielt der Fahrer sich wie ein tollpatschiger Junge, den irgendeine böse Fee im Körper eines fast fünfzigjährigen Mannes eingesperrt hatte. Wenngleich sein Verstand – in der Sprache der Uhrmacher ausgedrückt – ein kleines Kaliber war und er zudem mit allem Technischen auf Kriegsfuß stand, besaß er doch seine Qualitäten.
    Seit Mitte der zwanziger chauffiere er nun schon Manzini
    »ohne eine einzige Karambolage«, berichtete er einmal in red-seliger Stimmung. »Der Podestà und ich sind durch eine unsichtbare Kette verbunden.« Nico sah es seinem Aufpasser nach, wenn er nicht immer die richtigen Worte fand. Auf seine ganz spezielle Art war Uberto eine treue Seele. Ein offener Verrat an seiner Herrschaft kam für ihn nicht in Frage. Weil die Rettung der kleinen Marianna Grilli ihm »schwer imponiert« hatte, war er nun auch dem Walzenbändiger wohlwollend zugetan. Bald
    entwickelte sich zwischen ihnen fast so etwas wie eine kollegiale Freundschaft.
    Eines Morgens saß Uberto wieder einmal dem Herrn der Un-
    ruhe im Arbeitszimmer gegenüber. Seine klobigen Hände hatte er über dem Besprechungstisch gefaltet, und er beobachtete – weniger aus Misstrauen denn aus Bewunderung – jede von Nicos Bewegungen. Dieser wollte gerne ein Gespräch beginnen.
    »›Gute Uhrwerke sind sie: Nun sorge man, sie richtig aufzuziehn! Dann zeigen sie ohne Falsch die Stunde an und machen einen bescheidenen Lärm dabei.‹«
    Die breite Stirn des Chauffeurs wellte sich. »Was hast du gesagt?«
    Nico lächelte, als müsse er sich für etwas entschuldigen. »Mein Meister in Wien war ein belesener Mann. Er hat mich Schillers Tell auswendig lernen lassen, um mir die deutsche Sprache näher zu 209
    bringen. Das Zitat eben ist allerdings aus dem Zarathustra von Friedrich Nietzsche.«
    »Ich lese keine Bücher.«
    »Was tust du dann, wenn du mal nicht auf mich aufpassen
    oder Don Massimiliano herumkutschieren musst?«
    Der Hüne hob die Schultern. »Ich hab wenig Freizeit. Ab und zu gönne ich mir einen guten Fisch in der Trattoria um die Ecke und dazu ein Tröpfchen Cacchione .«
    »Auch nicht schlecht. Sprichst du mit Don Massimiliano nie über private Dinge?«
    »Selten. Er ist immer so beschäftigt.«
    »Ich frage mich, warum er sich mir gegenüber in letzter Zeit so distanziert verhält. Vielleicht habe ich etwas falsch gemacht, das sich wieder geradebiegen lässt. Du hast nicht zufällig eine Ahnung, warum er dermaßen … frostig ist?«
    Uberto schwieg eine Weile. In ihm schienen zwei Parteien
    einen Kampf auszutragen. Der Sieger antwortete schließlich: »Du bist bei den Menschen sehr beliebt, Niklas.«
    »Ist das neuerdings ein Verbrechen?«
    »Für Don Massimiliano vielleicht schon.«
    »Das musst du mir erklären.«
    »Er will selbst beliebt sein.«
    »Ist mir noch gar nicht aufgefallen. Dich behandelt er manchmal wie den letzten Dreck.«
    »Ich sage nur, was ich denke«, erwiderte Uberto, ohne auf die provokante Bemerkung einzugehen.
    »Glaubst du nur, dass unser Stadtoberhaupt die Gunst seines Volkes mit niemand anderem teilen will, oder hat er dir gegenüber etwas Konkretes erwähnt?«
    Der Chauffeur antwortete nicht.
    »Warum schweigst du? Hast du vielleicht irgendwas gehört, das ich erfahren sollte? Gibt es, abgesehen von Don Massimilianos Konkurrenzneid, noch was anderes, vor dem ich mich in Acht nehmen muss? Will er mir Schwierigkeiten machen?«
    »Ich habe schon viel zu viel gesagt«, stieß Uberto unwillig 210
    hervor. »Tu deine Arbeit, Niklas, so wie ich die meine. Das ist am gesündesten für uns beide.«
    An diesem Morgen brachte Nico nicht mehr viel aus dem
    Fahrer heraus. Ihn beschlich das Gefühl, sich auf immer dünne-rem Eis zu bewegen, und lauter denn je wurde in ihm die ernste Stimme, deren Klang ihn an Meister Johan erinnerte und die ihn eindringlich zum Rückzug mahnte.

    Während der Winter in den Frühling des Jahres 1940 überging und die Deutschen an allen Fronten Erfolge meldeten, fühlte sich Nico zunehmend wie ein Verlierer. Seit dem Morgen, als

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