Der Herr der Unruhe
wenn ich mich nicht irre.«
»Sie beide sind vor dem Lichtspielhaus gesehen worden.«
»Das will ich nicht abstreiten.«
»Lieben Sie meine Tochter?«
Nico schluckte. Wenn das keine direkte Frage war! Es fiel ihm schwer, Manzinis Blick standzuhalten. »Sie ist ein liebenswertes Mädchen, Don Massimiliano.«
»Das ist nicht die Antwort, die ich erwartet habe.«
»Ich mag Laura sehr. In Nettuno und Anzio kenne ich Hun-
derte von Leuten, aber meine Freunde kann ich an einer Hand abzählen. Ich glaube, Ihre Tochter gehört dazu.«
»Sie glauben es?«
»Ich würde es mir wünschen, Don Massimiliano, aber wer
kann schon in das Herz einer Frau sehen?« Nico wagte ein kleines Lächeln.
206
Manzini schien auf diesem Gebiet ja einige Erfahrungen zu haben. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. Dann sagte er sehr langsam und sehr betont: »Mein lieber Michel, ich schätze Ihre Arbeit und Ihre Zuverlässigkeit überaus – auf der Verspätung letzten Sonntag will ich jetzt nicht herumreiten.«
»Sie sind sehr großzügig, Don Massimiliano.«
»Gleichwohl weiß ich auch, dass Sie ein junger Mann sind
und Laura eine bildhübsche und zudem vermögende junge Frau.
Um es kurz zu machen: Konzentrieren Sie sich auf die Dinge, die ich Ihnen anbefohlen habe, Signor Michel. Meine Tochter gehört nicht dazu …«
»Das ist mir klar«, erklärte Nico rasch.
»Lassen Sie mich ausreden.«
»Bitte entschuldigen Sie.«
»Ich wollte noch eine zweite Sache hinzufügen. Mir wurde
berichtet, dass Sie am Sonntag vor meinem Arbeitszimmer her-umspaziert sind.«
»Na ja … das stimmt wohl. Ich war längst über der Zeit und hörte hier drinnen Stimmen. Da wollte ich Sie nicht stören.«
»Was haben Sie von dem Gespräch mitbekommen?«
»Praktisch gar nichts. Ich war ja …« Nico schluckte.
»In einer Türnische am Ende der Galerie. Das weiß ich bereits.
Wieso haben Sie sich dort versteckt, als ich mit meinem Gast den Raum verließ?«
»Können Sie sich das nicht denken?«
Manzini beugte sich vor und ließ die Hände, immer noch gefaltet, auf die Tischplatte sinken. »Bitte erklären Sie es mir.«
»Ich … ich kenne Ihren Sinn für Pünktlichkeit. Wie Sie eben selbst sagten, schätzen Sie zuverlässige Mitarbeiter. Was ich mir am Sonntag geleistet habe, war ja wohl eher das Gegenteil davon.
Ich hatte einfach Angst. Angst, meine Stelle zu verlieren.«
Der Stadtvorsteher lehnte sich langsam zurück. Sein Blick bohrte sich in den des jungen Mannes. Nico wünschte, er könnte hinter die Stirn seines Gegenspielers sehen.
Unvermittelt lächelte Manzini. »Ich schätze es, dass Sie den 207
Vorfall nicht abstreiten. Hätten Sie das versucht, müsste ich nämlich … disziplinarische Maßnahmen ergreifen. Aber Ihre entwaff-nende Offenheit …« Manzini lachte. »Vergessen wir die Sache.«
Nico sehnte sich danach, den Knopf am Hemdkragen zu öff-
net. »Das ist sehr freundlich von Ihnen, Don …«
»Nein, Sie haben mich schon wieder falsch verstanden, Mi-
chel.« Erneut beugte sich der Stadtvorsteher nach vorn und bekam wieder diesen stechenden Blick. »Was immer Sie glauben, gesehen oder gehört zu haben, ich möchte, dass Sie es vergessen.
Das schließt auch den Stahlschrank in der Säule da hinter Ihnen ein. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Natürlich, Don Massimiliano.«
Einige Atemzüge lang schien der Stadtvorsteher seinen Ge-
meindemechaniker noch hypnotisieren zu wollen, dann erhob er sich. Er lief zum Tresor, verstellte das Zahlenschloss und klappte die Holzverblendung vor die Stahltür. Während er hiernach zum Ausgang strebte, erklärte er: »Gut, dann werde ich jetzt in den Kommunalpalast fahren, damit Sie hier Ihre Pflicht tun können. Geben Sie Acht, dass es meiner Lebensuhr an nichts fehlt, Signor Michel. Ihre ›Freundin‹ Laura wird Ihnen Gesellschaft leisten.«
Nico wollte gerade im Rücken des strengen Vaters erleichtert aufatmen, als sich der noch einmal umdrehte.
»Besser, Sie gewöhnen sich nicht allzu sehr daran.«
Es war mehr als ein vorübergehender Witterungseinbruch. Die Abkühlung nahm Besorgnis erregende Ausmaße an, und das
bezog sich nicht allein auf die kalten Monate von November 1939
bis Ende Februar des darauf folgenden Jahres. Offenbar traute Manzini seinem Hüter der Lebensuhr doch nicht mehr so recht über den Weg. Zumindest die ihm nur allzu geläufigen Triebe wollte der Vater gezügelt wissen, weshalb seine Tochter ihren
›Freund‹ nun nicht mehr so oft beim
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