Der Herr der Unruhe
mir da mitgebracht?«, fragte Ennio schließlich.
Nico streckte ihm die Hand entgegen. »Mein Name ist Niklas Michel.«
»Etwa der Niklas Michel? Il Tedesco ? Der Walzenbändiger? Der Hüter der Lebensuhr? Der Herr der Unruhe? Don Massimilianos Doctor Mechani…«
»Die Leute übertreiben manchmal ein bisschen«, unterbrach Nico die ihm peinliche Aufreihung seiner Titel.
»Dein Freund?« Die Frage war an Lauras Adresse gerichtet.
Sie zog die Nase kraus und nickte.
Anstatt die Hand nahm der Filmvorführer gleich den ganzen Mann. Nachdem er nun seinerseits Nico beide Wangen geküsst und ihn hinreichend gedrückt hatte, wandte er sich wieder Laura zu.
»Ich freue mich ja so für dich. Wenn ich mich nicht irre, ist es das erste Mal, dass du in mein Kabuff einen jungen Mann mit-bringst. Leider kann ich euch hier nicht alleine lassen.« Er lachte.
Nico lief rot an. »Ich bin, wie Sie ja wohl wissen, technisch interessiert. Laura dachte …«
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»Ich hoffe nicht nur technisch, sondern auch biologisch«, unterbrach ihn Ennio und zwinkerte übertrieben mit dem rechten Auge.
Laura bestrafte ihn für die ungehörige Bemerkung mit einem Klaps auf die Hand. »Ennio! Untersteh dich, mir irgendwelche unmoralischen Absichten zu unterstellen. Dürfen wir während der Wochenschau bei dir bleiben? Danach gehen wir dann auch brav in den Saal hinunter.«
»Wie könnte ich diesen Augen etwas abschlagen! Bleibt nur da, ihr beiden Turteltäubchen, aber steht mir nicht im Weg herum.«
»Danke, Ennio.« Sie fiel dem ausgemusterten Seebären erneut um den Hals, und Nico fragte sich insgeheim, warum er nicht Fischer geworden war.
Wenig später verfolgte er den Vorführer aufmerksam dabei, wie er die Filmrolle auflegte, das Zelluloid um mehrere Führungsrol-len fädelte und schließlich ein Stück um die leere Aufnahmespule wickelte. Durch eine kleine Öffnung neben dem Projektionsfens-ter konnte er die Leinwand sehen.
Vielleicht steckte ja ein propagandistisches Kalkül dahinter, dass der von den Deutschen angestrengte Krieg nicht den ersten Platz unter den Nachrichten der Wochenschau einnahm. Sie widmete sich zunächst nationalen Themen. Voller Stolz wurde von dem grandiosen Erfolg eines italienischen Fahrers beim Belgrader Stadtrennen vom 3. September berichtet. Tazio Nuvolari (Auto-Union) hatte den aus Anlass des Geburtstages von König Peter II.
organisierte Vergleich gewonnen. Platz zwei und drei belegten Manfred von Brauchitsch und Rudolf Caracciola (Mercedes).
Nico schüttelte den Kopf.
»Es lebe die Allianz!«
Laura hatte sein Gemurmel nicht verstanden. »Was sagst
du?«
»Die deutsch-italienische Zusammenarbeit scheint prächtig zu funktionieren.«
Sie hakte sich bei ihm unter. Sein zynischer Ton schien sie zu beunruhigen. Reiß dich zusammen!, schalt er sich in Gedanken.
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Inzwischen flimmerte ein Bericht aus dem Vatikan über die Leinwand. Es ging um Papst Pius XII. der den am 10. Februar verstorbenen Pius XI. abgelöst hatte. Das Konklave hatte den vormaligen Staatssekretär am 2. März bereits im dritten Wahl-gang nach nur zweiundzwanzig Stunden Beratung zum Pontifex Maximus gewählt. Die Wochenschau zeigte Pius XII. bei seiner Rundfunkansprache, die er anlässlich seines Amtsantritts gehalten und in der er den Frieden beschworen hatte. Der drohenden Ausweitung des Krieges trat der neue Oberhirte aller Katholiken nun mit weiteren Appellen dieser Art entgegen.
Was nur wenige Tage nach Beginn seines Pontifikats in Wien geschehen war, wurde nicht erwähnt, aber Nico konnte sich noch lebhaft daran erinnern. Der »Anschluss« Österreichs war mit einem großen Empfang für Adolf Hitler gefeiert worden.
Kardinal Innitzer gehörte zu den Ersten, die dem Diktator den Deutschen Gruß entboten hatten. Seine Eminenz wies zudem alle österreichischen Kirchen an, die Hakenkreuzfahne zu hissen, die Kirchenglocken zu läuten und für den Führer zu beten.
Was wohl aus dem Benediktiner geworden war? Die Frage
trieb wie eine rote Boje aus Nicos Unterbewusstsein empor, als er das Bild der Peterskirche auf der Leinwand flimmern sah. Ob das neue Kirchenoberhaupt sich ebenfalls des Rates von Lorenzo Di Marco bediente? Bestimmt wäre Eugenio Pacelli, wie der Papst mit bürgerlichem Namen hieß, gut damit bedient.
Der Projektor spuckte bereits neue Bilder aus. Das Publikum war es gewohnt, im Laufe der Berichterstattung mehrmals den Duce vorgesetzt zu bekommen. So auch jetzt, als Benito Mussolini seine Beteuerung
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