Der Herr der Unruhe
bekräftigte, dass Italien »nicht Krieg führend«, weil nicht kriegsbereit sei. An einen Waffengang sei vor 1942
nicht zu denken. Vielleicht steckte ihm noch die wenig ruhm-reiche Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg in den Knochen, dachte Nico.
Beim nächsten Schnitt glaubte er unter den Zuschauern Verwirrung auszumachen – zahlreiche Köpfe rückten zusammen
und tauschten getuschelte Bemerkungen aus. Mit der soeben 201
beteuerten militärischen Abstinenz passten die Bilder von den italienischen Besatzungstruppen fürwahr nicht gut zusammen.
Um dem Publikum das ausdauernde Streiten des Duce für die italienischen Interessen auf der östlichen Seite der Adria nahe zu bringen, brachte der Kommentator eine Konvention zur Sprache die Mussolini bereits am 20. Juli 1925 unterzeichnet hatte.
Mit einem Mal war das Forte Sangallo auf der Leinwand zu
sehen. Nicos Kopf ruckte nach vorn. Seine linke Hand stützte sich gegen die Wand neben dem Guckloch, die rechte lag auf dem Ge-häuse des Projektors. Die nächsten Szene zeigte, in brüderlicher Umarmung mit dem Duce, Massimiliano Manzini.
Und dann blieb der Projektor stehen.
Ein ganzer Schwarm von Gedanken schwirrte zugleich durch
Nicos Kopf. Was suchte Manzini an der Seite Mussolinis? War es etwa doch mehr als ein Gerücht, was die Leute sich über ihren Podestà erzählten? Es hieß, er habe dem Duce in den Jahren seines politischen Aufstiegs ein paar »Gefallen« getan. Bisher hatte Nico dabei immer an großzügige Spenden gedacht.
»Verflixt! Die Kiste weigert sich, weiterzulaufen«, schimpfte Ennio.
Die beiden Kameraden auf der Leinwand verfärbten sich zu-
erst braun, dann schwarz, und zuletzt brannten sie durch. Die Filmspule drehte sich weiter.
»Besser, ihr verschwindet, bevor der direttore kommt und mir die Hölle heiß macht«, empfahl der Vorführer.
Nico nickte nur und wandte sich dem Ausgang zu.
»Entschuldige, Ennio«, sagte Laura. Sie klang merkwürdig
bedrückt.
»Wieso? Ihr könnt ja nichts dafür. Außerdem passiert das alle naselang. Macht’s euch im Saal bequem. Ich flicke schnell den Film, und dann geht’s weiter.«
Nachdem Laura die Tür des Vorführraumes hinter sich ge-
schlossen hatte, bedachte sie Nico mit einem ernsten Blick. »Bist du das gewesen?«
»Was?«
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»Jetzt tu nicht so. Der Projektor! Hast du ihn angehalten?«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Ich sage nur ein Wort: Fahrradkette.«
Er hob die Schultern und druckste: »Vielleicht war ich ’s.
Manchmal passiert mir so etwas, ohne dass ich mir dessen richtig bewusst bin. Ich kann es wirklich nicht sagen.« Voll Sorge bemerkte er, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten.
»Warum hasst du meinen Vater, Niklas?«
Sein Kinnladen fiel herunter. Wie hatte sie das nun wieder bemerkt? Ein Wirbelsturm raste durch seine Gefühle und hinterließ eine Schneise der Verwüstung. Er fühlte sich gespalten zwischen diesem Mädchen, das er nicht verlieren wollte, und ihrem Vater, dem er den Tod wünschte. Seine Antwort klang lahm.
»Ich war überrascht, als plötzlich das Forte Sangallo und dann auch noch unser Podestà auftauchte. In der Wochenschau! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen …«
» Basta ! Hör endlich damit auf, Niklas.« Sie stach mehrmals mit dem Zeigefinger auf ihre Brust ein, als wolle sie damit Hara-kiri begehen. »Hier drin, in meinem Herzen, fühle ich, dass du mir etwas verschweigst. Ich habe gehofft, deine Zweifel, worin immer sie bestehen, würden sich durch unsere Freundschaft verflüchtigen, aber du warst nie aufrichtig zu mir, bis heute nicht.«
Er breitete hilflos die Hände aus. »Was erwartest du von mir, Laura? Eher fließt das Wasser den Berg hinauf, als dass aus uns ein Paar wird.«
»Wer sagt das?«
»Ich … Eigentlich hat es Bruno gesagt.«
Sie stemmte die Arme in die Hüften. »Der Fremdenführer?«
»Du kennst ihn?«
»Und ob ich ihn kenne! Als sein Vater das Mosaik in unserem Lichthof gelegt hat, ist er immer hinter mir hergelaufen.«
» Bruno hat dir nachgestellt?«, japste Nico.
»Ich war damals vier.«
»Und daran kannst du dich noch erinnern?«
»Uberto hat es mir in der Nacht erzählt, als der Blitz in die 203
Turmuhr des Palazzo Comunale eingeschlagen ist. Ich fragte ihn wo du wohnst, und dann erzählte er mir die ganze Geschichte von Bruno Sacchis Krähennest auf der Stadtmauer bis zurück zur Entstehung des Mosaiks. Abgesehen davon hörst du dich an wie ein eifersüchtiger Liebhaber.«
Nico schüttelte
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