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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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Umständen hätte ich das mit einem schallenden Lachen quittiert. Da hatte mein alter Major ein einziges Mal in seinem ganzen nutzlosen Leben zu seinem Wort gestanden – und dann war es zu spät und konnte mir nichts mehr nützen. Ich ließ den Brief ungeöffnet liegen und wandte mich dringenderen Aufgaben zu.
    Ich holte das in braunes Papier eingewickelte Päckchen aus der Kiste unter meinem Bett, setzte mich an den Tisch und packte es aus. Die nächsten zwei Stunden verbrachte ich damit, meine Ausrüstung sorgfältig zusammenzustellen. Abschließend nahm ich noch zwei Wurfmesser sowie einen dünnen Draht an mich und steckte mir eine Dose mit Ruß zum Schwärzen des Gesichts in die Tasche. Dann ging ich nach unten.
    Ich war so in Gedanken versunken, dass ich beinahe mit Adolphus zusammengestoßen wäre, der am Fuß der Treppe stand. Die schummrige Beleuchtung und seine merkwürdige Reglosigkeit machten ihn fast unsichtbar. Unter seinem schweren Mantel trug er eine abgenutzte Rüstung aus Leder, die über seiner Brust spannte. Außerdem hatte er seine alte Sturmhaube ausgegraben, die in fünf Jahren Nahkampf stark gelitten hatte und an mehreren Stellen verbeult war. Darüber hinaus starrte er von Waffen. An seiner Seite hingen zwei kurze Klingen, auf den Rücken hatte er sich eine Streitaxt geschnallt.
    »Was zum Teufel hat denn das zu bedeuten?«, fragte ich verblüfft.
    Der entschlossene Ausdruck in seinen Augen gab mir deutlich zu verstehen, dass es meinem Freund mit seiner Aufmachung ernst war. »Du hast doch wohl nicht angenommen, du würdest allein losziehen?«, erwiderte er. »Das ist nicht das erste Mal, dass wir gemeinsam in den Kampf gehen. Ich werde dir wie immer Rückendeckung geben.«
    War er betrunken? Ich roch an seinem Atem – anscheinend nicht. »Ich hab keine Zeit für so was. Kümmer dich um Adeline. In ein paar Stunden bin ich wieder da.«
    »Zeisig ist mein Sohn«, sagte er, ohne affektiert oder wichtigtuerisch zu klingen. »Ich werde nicht am Kamin hocken, wenn sein Leben in Gefahr ist.«
    Der Schwurhalter bewahre uns vor solch sinnlosem Edelmut! »Ich weiß dein Angebot zu schätzen, aber es ist unnötig.«
    Ich versuchte, mich an ihm vorbeizuquetschen, doch er streckte die Hand aus und drückte mich gegen das Geländer. »Das war kein Angebot.«
    Sein einst kohlschwarzes Haar war von unzähligen grauen Strähnen durchzogen, sein pockennarbiges Gesicht in die Breite gegangen. Wirkte ich auch so alt und töricht wie er? Ein Mann mittleren Alters, der den Kragen wie ein Rowdy hochgeschlagen hatte, vor Waffen strotzte und wie ein Jüngling auf Abenteuer auszog.
    Doch solche Überlegungen waren jetzt unangebracht. Zeisig brauchte mich. Eine Existenzkrise konnte ich später ausleben, falls ich in sechs Stunden noch am Leben war.
    Ich schüttelte Adolphus’ Hand ab und wich eine Stufe nach oben zurück, um genug Platz zum Manövrieren zu haben. »Du bist fett. Massig gebaut warst du schon immer, aber jetzt bist du richtig fett. Du bist langsam und kannst dich nicht anschleichen. Außerdem bringst du es nicht mehr fertig, einen Menschen zu töten, jedenfalls nicht so, wie ich es vorhabe. Vielleicht war das sogar nie der Fall. Ich habe keine Zeit, deiner Eitelkeit zu schmeicheln – jede Sekunde, die wir verlieren, bringt den Jungen dem Tod ein Stück näher. Also geh mir gefälligst aus dem Weg!«
    Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, ich hätte den Bogen überspannt und er würde auf mich losgehen. Doch dann senkte er den Kopf, und alle Energie schien aus ihm zu entweichen wie die Luft aus einem angestochenen Ballon. Er trat von der Treppe weg, wobei seine Messersammlung rasselte.
    »Kümmer dich um Adeline«, sagte ich. »In ein oder zwei Stunden bin ich wieder da.« Das war zwar mehr als fraglich, aber das brauchte ich ihm ja nicht auf die Nase zu binden. Dann stahl ich mich in die Nacht hinaus.

46
    Mit geschwärztem Gesicht kauerte ich nicht weit vom Hintereingang des Anwesens entfernt hinter einem Busch. Der Draht in meinen Händen schimmerte silbrig im Mondlicht. Ich überlegte, ob und wie es sich vermeiden ließe, Dunkan umzubringen. Bisher war mir nichts eingefallen.
    Ich konnte ihn nicht einfach niederschlagen. Das funktioniert nicht so, wie die Leute es sich vorstellen – ein Schlag auf den Kopf, und eine Stunde später wacht das Opfer mit einem Brummschädel auf. Oft bewegt sich der Betreffende im unpassendsten Moment, sodass man vorbeihaut und dumm dasteht. Falls man es

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