Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
das Motiv. Ich nehme an, Guiscard hat Ihnen bereits erzählt, welchen Zusammenhang es zwischen dem Herzog und der Operation Vorstoß gibt.« Guiscards plötzliche Bereitwilligkeit, mir zu helfen, war mir von Anfang an merkwürdig vorgekommen, doch erst jetzt, da ich seinem Boss gegenübersaß, konkretisierte sich mein Verdacht. Es war zwar ein Schuss ins Blaue, doch der überraschte Ausdruck, der über die gelassene Miene des Alten huschte, gab mir recht. »Nachdem sich der Herzog vergeblich als Spion angeboten hatte, ging er zu Plan B über. Jemand – vermutlich Brightfellow – heuerte für die erste Entführung den Kirener an. Als das schiefging, brachten sie ihn um und nahmen die Sache selbst in die Hand. Wenn Sie wollen, kann ich fortfahren – ich weiß, dass es lange her ist, seit Sie praktische Polizeiarbeit gemacht haben.«
Das Gesicht des Alten nahm wieder seinen freundlich-nichtssagenden Ausdruck an. Dann schüttelte er betrübt den Kopf, da er mich enttäuschen musste. »Das ist nicht genug. Nicht mal annähernd. Vielleicht es meine Schuld – vielleicht ist es mir nicht gelungen, Sie ausreichend zu motivieren. Vielleicht sollte ich jemanden in Ihre Kneipe schicken, um Ihren Freunden einen kleinen Besuch abzustatten.«
Darauf ging ich nicht ein. »Kann sein, dass es für einen Haftbefehl nicht genug ist – aber genug für uns beide, um sicher zu sein.«
»Was schlagen Sie vor?«
»Dass ich mich darum kümmere. Inoffiziell.«
Er schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Brutalität und Blutvergießen. Was soll das denn für einen Eindruck machen?«
»Sie sind der Leiter der Spezialabteilung. Es wird genau den Eindruck machen, den Sie festlegen. Tun Sie doch nicht so, als würden Sie die Vorstellung, einen Adligen auszuschalten, nicht genießen – einen Adligen, der obendrein mit dem Kronprinzen befreundet ist. Ich tu Ihnen einen Gefallen, und das wissen Sie.« Ich lehnte mich über den Tisch. »Es sei denn, Ihnen steht der Sinn danach zu warten, bis der Herzog und sein Lieblingszauberer ihr Ritual bis zum Ende durchgeführt haben.«
Die Augen des Alten waren blau wie ein Sommerhimmel. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie wieder in den Dienst der Krone treten möchten?«
Ich wusste, dass das ein Köder war – den ich jedoch verdammt gern geschluckt hätte. »Ich mache Ihnen ein Angebot, mehr nicht. Lord Beaconfield und ich werden eine Auseinandersetzung haben, und wenn Sie morgen aufwachen, hat sich eines Ihrer Probleme gelöst.«
»Und warum sind Sie so erpicht darauf, eigenhändig für das Ableben des guten Herzogs zu sorgen?«
»Weil ich mich langweile. Aber das braucht Sie nicht zu kümmern. Es wird erledigt.«
Er stützte das Gesicht in die Hände und tat so, als ließe er sich die Sache ernsthaft durch den Kopf gehen. Schon nach fünfzehn Sekunden hob er den Kopf und lehnte sich zurück. »Es kommt immer mal wieder zu Unfällen«, sagte er.
Ich stand auf, ging zur Tür und öffnete sie, drehte mich jedoch noch einmal um. »Sie sollten wissen, dass eine Säuberungsaktion erforderlich sein dürfte, die schnell gehen, aber viel Lärm machen wird.«
»Wie Sie bereits sagten – ich bin der Leiter der Spezialabteilung.«
»Wenn ich Sie fertigmache, wird es in aller Stille vor sich gehen.«
Er stieß ein hämisches Kichern aus. »Was für ein Temperament! Wenn Sie nicht lernen, das Leben ein bisschen zu genießen, werden Sie nie mein Alter erreichen.«
Ohne etwas zu erwidern, schloss ich die Tür und ließ das nichtssagende Büro sowie den bösartigen Mann, der dort residierte, hinter mir.
45
Mühsam stapfte ich durch den kniehohen Schnee zum Torkelnden Grafen zurück. Die nicht nachlassende Kälte setzte mir immer mehr zu. Ich konnte mich zwar noch an eine Zeit erinnern, als der Himmel hell gewesen war und die Wolken kein Eis gespuckt hatten, aber nur undeutlich.
Als ich ankam, stellte ich fest, dass die Kneipe geschlossen war. Angesichts des Wetters würden am Abend ohnehin nicht viele Gäste kommen. Der Vorderraum war leer. Adolphus befand sich vermutlich im Hinterzimmer, um sich um seine Frau zu kümmern. Ich hatte keine Zeit, nach ihm zu suchen. Denn obwohl ich dem Herzog erst nach Einbruch der Dunkelheit einen Besuch abstatten wollte, brauchte ich bis dahin jede Minute, um alles vorzubereiten.
Oben in meinem Zimmer fand ich einen kleinen Umschlag auf meiner Kommode. Während du weg warst, ist ein Bote von Grenwald gekommen , hatte Adolphus darauf gekritzelt. Unter anderen
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