Der Herr des Traumreichs
könnt Ihr uns sehen.«
Er bekam keine Antwort, nur die Finger zupften unentwegt weiter am Stoff des Hemds. Vorstus breitete die Decke über ihn und setzte sich zu Ravenna und seinen drei Ordensbrüdern an den Tisch. Das einfache Mahl aus Brot, Käse und Oliven wurde schweigend eingenommen.
Eine Weile lag Maximilian nur da und lauschte der Stille.
Allmählich wurden seine Hände ruhiger. Verwirrung und Unsicherheit quälten ihn. War das ein Traum? Würde er gleich erwachen, um sich in der Umgebung wiederzufinden, die ihm vertraut war – über sich das Hangende, zu seiner Linken die Kolonne aus acht schwer arbeitenden Männern?
Seine Hand stahl sich an seinem Körper hinab und betastete den linken Knöchel. Er fühlte sich so leicht an… fast unrein ohne das dicke Eisenband, das ihn immer so tröstlich umschlossen hatte.
Sie hatten ihn Maximilian genannt.
Maximilian. Den Namen hatte er schon sehr lange nicht mehr gedacht. In der finsteren Welt des Glomm wäre es der letzte Schritt in den Wahnsinn gewesen, sich an diesen Namen und das Leben zu erinnern, das sich damit verband. Doch hier gestattete er sich, behutsam an das Lautgebilde zu rühren, es in Gedanken hin und her zu drehen und von allen Seiten genauestens zu begutachten, bevor er sich… ganz sachte… mit der Vorstellung vertraut machte, daß es sein Name sein könnte.
Endlich lagen seine Hände ganz still.
Maximilian. War er Maximilian? Wirklich?
»Maximilian?«
Eine weiche Stimme drang ihm ans Ohr. Er erschrak und drehte sich unwillkürlich um. Wo bisher atemlose Stille geherrscht hatte, tiefe Abgeschiedenheit, stand eine junge Frau.
Was wollte sie von ihm?
»Maximilian? Ich bringe Euch etwas zu trinken. Ihr habt doch sicher schon seit Stunden nichts mehr zu Euch genommen?«
Trinken? Ja, durstig war er. Mißtrauisch, voller Angst, auf heimtückische Weise überrumpelt zu werden, stützte er sich auf einen Ellbogen und nahm ihr den Becher ab, vermied es aber, dabei ihre Finger zu berühren. Seine Augen weiteten sich überrascht. Der Becher war warm! Gab es auch warme Getränke? Hatte es in seinem Leben einmal eine Zeit gegeben, da jemand nur für ihn die Getränke angewärmt hatte?
Vorsichtig führte er den Becher an die Lippen, ohne die Frau aus den Augen zu lassen. Aber sie hielt Abstand. Nachdem er ihr das Gefäß abgenommen hatte, war sie sogar einen Schritt zurückgetreten. Das beruhigte ihn. Er ließ eine winzige Menge der Flüssigkeit in seinen Mund laufen.
Fast hätte er den Becher fallen gelassen. Das Getränk war süß. Mit einem ganz eigenen Beigeschmack… und irgendwie milchig.
Milchig? Milch?
Die Frau hatte die Hände vor ihrem weißen Kleid gefaltet und lächelte. »Laßt es Euch schmecken«, sagte sie.
Er nahm einen zweiten Schluck, der dritte fiel schon größer aus, und nun wagte er sogar, alles in die Kehle rinnen zu lassen. Er runzelte die Stirn. Sollte er diesen Geschmack kennen, hatte er womöglich gar einen Namen dafür? Er trank immer wieder, bis der Becher völlig leer war.
Zögernd reichte er ihn der jungen Frau zurück.
Wie hieß diese Flüssigkeit? Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich. Er bemerkte nicht, daß die Frau seine Hand streifte, als sie ihm den Becher abnahm. Früher hatte er den Namen gekannt, er war ganz sicher. Er blickte auf, um die Frau danach zu fragen, aber sie war schon wieder an den Tisch zurückgekehrt.
Doch sie spürte seinen Blick und drehte sich noch einmal um, bevor sie sich setzte. »Wenn Ihr wollt«, sagte sie ruhig, »hier gibt es auch für Euch etwas zu essen.« Sie deutete auf eine Bank. Zwischen ihr und ihrem Nebenmann war noch ein Platz frei.
Aber soweit war er noch nicht. Er legte sich wieder zurück und drehte das Gesicht zur Wand. Wo waren seine Leidensgenossen? Sollte er sich nur mit den Schultern gegen den Fels stemmen, nachdem man ihm seine Hacke genommen hatte? Er strich mit den Fingern über die Wand vor seinem Gesicht. Dieser Stein war hell und glatt, man brauchte ihn nicht zu zerschlagen, um dann die Brocken fluchend zu Haufen zu schichten, bis der Rücken mit stechenden Schmerzen protestierte.
Irgendwann wurde ihm bewußt, daß er sich auf diesem Bett wohl fühlte, und er ließ die Hand sinken. Sich wohl fühlen.
Der Gedanke war ihm schon lange nicht mehr gekommen.
Schon sehr lange nicht mehr.
Nicht mehr, seit er Maximilian geheißen hatte.
Ein lautloser, tiefer Atemzug. Ja, er war dieser Maximilian gewesen. Abermals rollte er den Namen zuerst im Geist
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