Der Herr des Traumreichs
Persimius-Orden mit im Spiel! Das beruhigte ihn.
Hätte Garth sich den Plan allein ausgedacht, sein Vater hätte wohl am Verstand seines Sohns gezweifelt.
Joseph beobachtete den Nebel, der durch den Stollen zog.
Das konnte nur Zauberei sein. Er betrachtete Vorstus’ Rücken mit sehr viel mehr Respekt als zuvor. Viel wußte er nicht über den Persimius-Orden – außer daß er der königlichen Familie treu ergeben war und verschiedene geheime Künste beherrschte. Wenn die Mönche allerdings über solche Fähigkeiten verfügten, mußten sie weit mächtiger sein, als er gedacht hatte.
Als sie den Schacht erreichten – der Aufzug wartete noch –, hockte der Wachposten zusammengesunken am Boden und schlief. Garth war erleichtert. Inzwischen lag sicherlich das ganze Bergwerk in tiefem Schlummer!
Sie mußten lange warten, bis die anderen nachkamen. Garth grinste in sich hinein. Die Sträflinge sollten sich ruhig einmal richtig ausschlafen. Am liebsten hätte er sie alle befreit, aber er sah ein, daß nicht jeder hier unten so unschuldig war wie Maximilian (manche allerdings schon; wie viele Männer mochten bequemerweise in den Adern ›verschwunden‹ sein?).
Außerdem kam ein Massenausbruch einfach nicht in Frage.
Nein, oberstes Ziel für alle Beteiligten mußte es sein, Maximilian so schnell wie möglich so weit wie möglich von den Glomm-Minen fortzubringen.
Endlich trafen auch Morton und Gustus ein. Die Wärter, die sie behutsam vor sich hergeschoben hatten, sanken in den Glommstaub und träumten ungestört weiter.
Vorstus wandte sich an Garth. »Ihr wißt, wo wir zu finden sind?«
Garth nickte.
»Gut.« Der Mönch legte sich Maximilians Arm fester über die Schulter. Morton öffnete die Aufzugtüren. »Kommt nach, sobald Ihr könnt.«
Er zerrte Maximilian in den Aufzug. Der Prinz wehrte sich nicht. Morton und Gustus stiegen hinter den beiden ein. Die Aufzugtür schlug zu, dann rasselten die Ketten, die Räder schwirrten, und der Korb raste in wilder Fahrt der Welt über dem Hangenden entgegen.
Als letztes hörte Garth Maximilians erschrockenen Aufschrei.
Während er noch in den schwarzen Schacht hinaufstarrte, spürte er die Hand seines Vaters auf der Schulter.
»Garth. Ich nehme an, du hast mir einiges zu erklären.«
Ravenna ging auf und ab, auf und ab, und nagte unruhig an ihrer Unterlippe. Den Mantel hielt sie am Hals so fest zusammen, daß ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Der Aufzug kam mit lautem Getöse nach oben gerast.
Sie war fast krank vor Sorge. War alles gutgegangen?
Vorstus berührte kurz ihr Bewußtsein und versicherte ihr, alles sei in bester Ordnung, aber es konnte noch immer so vieles fehlschlagen.
Wie mochte es Maximilian ergehen? Würde man ihn wieder einfangen? Würde es ihnen gelingen, diesem verfluchten Ort mit heiler Haut zu entkommen?
»Ein Schritt, ein Sprung, o Liebster mein«, murmelte sie. Ihre Augen bekamen allmählich ihren natürlichen Grauton zurück.
Der Aufzug ratterte weiter dem Förderturm entgegen.
Morton öffnete die Tür, bevor er noch richtig zum Stehen gekommen war, und half Vorstus, mit Maximilian auszusteigen. Ravenna trat vor. Sie zitterte vor Rührung. Eine Hand hielt sie sich vor den Mund, die andere streckte sie Maximilian entgegen.
»Ist er…?«
»Er wird sich erholen, Ravenna«, sagte Vorstus, doch bevor er weitersprechen konnte, hob Maximilian den Kopf.
Er war wie vom Donner gerührt. Sein Körper wurde stocksteif vor Entsetzen, die Augen quollen ihm aus den Höhlen.
Was war das für eine Hölle, in die man ihn da schleppte?
Der Nebel hatte sich nahezu aufgelöst. Diese Weite, die Luft, die ihm über Gesicht und Körper strich… Maximilian konnte es nicht fassen; er hatte nicht nur vergessen, wie sich das anfühlte, sondern erst recht, daß man es Wind nannte.
Verzweifelt sah er sich um. In diesem Augenblick lichteten sich die Wolken, und der Himmel lag offen vor ihm.
Diese Unendlichkeit… es war zuviel – wo war das Hangende, das ihm Sicherheit bot?
»Neiiiin!« schrie er und wollte sich aus Vorstus’ Griff befreien.
»Morton! Gustus! Helft mir!« Der Mönch umschlang Maximilian mit beiden Armen und hielt ihn mit aller Kraft fest.
Erst zu dritt gelang es ihnen, den Tobenden zu bändigen.
Ravenna sah hilflos zu und mußte weinen. Zu schrecklich waren die Qualen des Prinzen.
»Kommt«, sagte Vorstus, als Maximilian sich endlich beruhigt hatte. »Ich hätte nicht erwartet, daß der Schock so heftig wäre. Wir müssen
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