Der Herr des Traumreichs
Sträuchern gut versteckt – und an den Wänden brannten acht oder neun Lampen. Es gab nur wenige, aber sehr bequeme Möbel, und einige bunte Kissen und Teppiche sorgten für Behaglichkeit.
Ravenna und Vorstus legten Maximilian auf ein Bett und deckten ihn zu. Er drehte sich wortlos zur Wand und schloß die Augen.
»Ich hole Wasser«, sagte Ravenna leise. »Wir wollen doch wissen, wie der Prinz unter der Schmutzschicht wirklich aussieht.«
Dann legte sie den Kopf zurück und lachte. Es kam so unerwartet, daß Maximilian sich wieder umdrehte und sie anstarrte.
Sie senkte den Blick. »Und wenn wir Euch vom Schmutz befreit haben, Prinz Maximilian, könnt Ihr Euch frei bewegen, denn wer sollte dann noch den entflohenen Sträfling Nummer achthundertneunundfünfzig erkennen?«
Ihr Lächeln erlosch, und sie berührte ihn mit zarter Hand.
»Der Sträfling Nummer achthundertneunundfünfzig wird mit dem Schmutz verschwinden, Maximilian. Glaubt mir.«
Männer rannten vom Gebäude zum Förderturm und wieder zurück. Wärter sammelten sich und liefen zum Aufzug. Im Verladehafen durften keine Schiffe auslaufen und keine neuen Schiffe anlegen. In den Adern kettete man die Sträflinge kolonnenweise an die Wände, um sie hastig zu zählen.
Furst verließ seine Schreibstube, stürmte zum Eingang des Schachts und schnappte sich den ersten Wärter, der den Aufzug verließ. »Wer ist es?«
»Sohle zweihundertfünf«, keuchte der Wärter, und Furst erbleichte. »Sträfling Nummer achthundertneunundfünfzig.«
»Findet ihn!« tobte Furst. Überall auf dem Gelände schrillten die Alarmglocken. »Findet ihn!«
Er gab den Wärter frei und wandte sich nach Süden, als wolle er geradewegs ins Herz von Ruen schauen.
Cavor lag in seinem Palast mit den roten Mauern in seinem Bett und zerwühlte die seidenen Laken. Er hatte sich nach der Mittagsmahlzeit hingelegt, um sich vor den Schmerzen seiner eiternden Armwunde in den Schlaf zu flüchten. Doch dann suchten ihn Träume heim, die schlimmer waren als die Qualen, die ihm das verfluchte Königsmal bereitete.
Eine Weile warf er sich murmelnd hin und her. Dann schrie er »Nein!« und krallte die Finger in die Seide, bis sie zerriß.
»Nein!«
Dunkelheit umfing ihm, anheimelnd und vertraut, doch er wurde von grausamen Händen gepackt und in einen Eisenkäfig geschoben, der ihn himmelwärts trug. Aus den Wolken schaute eine Hexe zähnefletschend auf ihn herab, und die Sonne stach ihm in die Augen.
»Nein!«
Die Peiniger packten sein Bein. Ihre Hände glitten immer tiefer hinab. Cavor konnte nichts tun, um sich ihrem Griff zu entwinden. Der eine hatte eine Hacke in den Händen, der andere einen Hammer. Er hörte lautes Gelächter, dann hoben sie die Werkzeuge und ließen sie krachend auf seinen Knöchel niedersausen.
»Neiiiin!« schrie Cavor in seinem Schlafgemach und kämpfte sich endlich aus dem Traum frei.
Schweratmend setzte er sich auf und starrte auf sein Bein nieder.
Um den Knöchel zog sich ein nässender roter Streifen, als hätte man ihn mit einem heißen Eisen verbrannt.
Und das Mal auf seinem Arm brannte plötzlich wie Feuer.
Wieder schrie Cavor, diesmal so laut, daß seine Diener herbeieilten.
Im hohlen Berg
Sie zerschlugen die Eisenschelle um seinen Knöchel mit Hammer und Hacke und warfen sie mit dem Rest der Kette weit fort. Während Ravenna und Vorstus ihn wuschen, lag er regungslos und mit abgewandtem Gesicht da und sprach kein Wort.
Als sie ihm ein Hemd überstreiften, zupfte er mit den Fingern daran, als brenne ihm das weiche Linnen auf der Haut.
Ravenna warf Vorstus einen betroffenen Blick zu. »Kaum zu glauben, daß sich unter all dem Schmutz ein Mensch befindet.« Als Maximilians Haut zum Vorschein kam, war sie weich und glatt, aber bleich, und der hagere Körper zeigte eine gut entwickelte Muskulatur. Hier und dort erinnerten häßliche Schrammen an die Gefahren, denen man bei der Arbeit so dicht unter dem Hangenden ausgesetzt war. Auf dem rechten Oberarm wölbte sich eine dicke, wulstige Brandnarbe.
Dennoch besaß der Mann auch nach so vielen Jahren in den Glomm-Minen noch eine Lebenskraft, über die Vorstus und Ravenna nur staunen konnten.
Vorstus seufzte, trat ein paar Schritte zurück und winkte Ravenna zu sich. »Laßt ihn vorerst in Ruhe. Die anderen haben etwas zu essen vorbereitet. Maximilian« – er beugte sich über den Mann, der sich wieder zur Wand gedreht hatte –, »wir bleiben in der Nähe. Ihr braucht nur den Kopf zu drehen, dann
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