Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
Geschäftszweig der Entführungen mit den Spitzen des organisierten Verbrechens zusammengeführt hatte, uns mit der wunderbaren Welt der Selbstmordattentate vertraut machten. Ich sehe noch den abgetrennten Kopf vor mir; der auf der Straße vor der fast völlig zerstörten französischen Botschaft lag. In Beirut jedenfalls wechselte ich auf die andere Straßenseite, wenn Leute aus Gebetsversammlungen kamen.
Auch Bombay galt früher als Perle des Orients mit seinen Lichtern, die sich wie Perlenketten an der Küstenstraße entlangziehen, und seiner prächtigen britischen Kolonialarchitektur. Es war eine der vielgestaltigsten und pluralistischsten Städte Indiens, deren Facettenreichtum Mira Nair in seinen Filmen und Salman Rushdie vor allem in seinem Roman Des Mauren letzter Seufzer raffiniert auf den Grund gehen. In den Jahren 1947 und 1948, als der großen historischen Bewegung für ein selbst regiertes Indien die Forderungen der Muslime nach einem eigenen Staat und der Umstand, dass die Kongresspartei von einem gläubigen Hindu geführt wurde, zu schaffen machten, gab es zwar Kämpfe zwischen den verschiedenen Religionen. Doch brachten sich damals wahrscheinlich mehr Menschen vor dem religiösen Blutrausch nach Bombay in Sicherheit, als von dort flohen. Wie so oft in Städten, die am Meer liegen und Einflüssen von außen ausgesetzt sind, stellte sich wieder eine Form der kulturellen Koexistenz ein. Eine große Minderheit bildeten die Parsen, die Anhänger des Zarathustra, die in Persien verfolgt worden waren, und die Stadt bot auch einer historisch bedeutenden jüdischen Gemeinde ein Zuhause. Doch Mr. Bai Thackeray und seine hindunationalistische Bewegung »Shiv Sena« gaben sich damit nicht zufrieden. In den Neunzigerjahren beschloss Thackeray, Bombay müsse von seinen Religionsbrüdern und für sie regiert werden, und ließ Horden von Schlägern auf die Straßen los. Nur um zu beweisen, dass er auch das konnte, benannte er die Stadt in Mumbai um, weshalb ich sie unter ihrem traditionellen Namen in meine Liste aufnehme.
Belgrad war bis in die Achtzigerjahre die Hauptstadt Jugoslawiens, des Landes der Südslawen. Damit war sie definitionsgemäß die Hauptstadt eines multiethnischen und multikonfessionellen Staates. Doch ein säkularer kroatischer Intellektueller warnte mich einmal mit einer Anekdote, die mich an den Belfaster Galgenhumor erinnerte. »Wenn ich den Leuten sage, dass ich Atheist und Kroate bin«, sagte er, »bitten sie mich um einen Beweis dafür, dass ich kein Serbe bin.« Ein Kroate zu sein, heißt mithin, römisch-katholisch zu sein. Ein Serbe ist orthodoxer Christ. In den Vierzigerjahren entstand in Kroatien ein nationalsozialistischer Marionettenstaat, der unter dem Schutz des Vatikan stand und nicht nur alle Juden der Region auslöschen wollte, sondern auch versuchte, die Anhänger der anderen christlichen Konfession zum Übertritt zu zwingen. Zehntausende orthodoxer Christen wurden damals ermordet oder deportiert, und in der Nähe der Stadt Jasenovacs entstand ein riesiges Konzentrationslager. Das Regime des Generals Ante Pavelic und seiner »Ustascha«-Partei war so grauenhaft, dass sich sogar viele deutsche Offiziere davon distanzierten.
Als ich 1992 das Konzentrationslager von Jasenovacs besuchte, hatten sich die Verhältnisse umgekehrt. Die kroatischen Städte Vukovar und Dubrovnik waren von serbischen Streitkräften brutal bombardiert worden und befanden sich mittlerweile in der Hand von Slobodan Milošević. Die vorwiegend muslimische Stadt Sarajevo war belagert und wurde rund um die Uhr bombardiert. Anderswo in Bosnien-Herzegowina, insbesondere am Fluss Drina, wurden ganze Städte geplündert und die Bewohner massakriert. Die Serben bezeichneten dies als »ethnische Säuberung«, der Ausdruck »religiöse Säuberung« käme der Wahrheit aber wohl näher. Der exkommunistische Bürokrat Milošević war zu einem xenophoben Nationalisten mutiert. Seinen antimuslimischen Kreuzzug, der als Deckmäntelchen für die Einverleibung Bosniens in ein »Großserbien« diente, bestritt er größtenteils mit inoffiziellen Milizen, die aber seiner Kontrolle unterstanden. Diese Banden rekrutierten sich aus religiösen Eiferern, die häufig von orthodoxen Priestern und Bischöfen gesegnet wurden und hin und wieder Verstärkung von orthodoxen »Freiwilligen« aus Griechenland und Russland erhielten. Ihr besonderes Augenmerk richteten sie auf die restlose Zerstörung der osmanischen Zivilisation, so
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