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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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auf die Exekution wartete, wurde er von seinen Beichtvätern ermahnt, dem Gesetz doch Genüge zu tun. Die säkulare Linke in Europa machte im Kampf gegen den Nationalsozialismus eine erheblich bessere Figur, auch wenn viele dem Glauben anhingen, jenseits des Ural gebe es ein Paradies für Arbeiter.
    Häufig wird vergessen, dass zur Dreierachse auch Japan gehörte, dessen Staatsoberhaupt nicht nur ein gläubiger Kaiser war, sondern auch ein Gott. Wenn der häretische Glaube an Kaiser Hirohitos Göttlichkeit je von einer deutschen oder italienischen Kanzel herab oder von einem Prälaten angezweifelt wurde, so ist mir der Vorgang bislang jedenfalls nicht untergekommen. Im heiligen Namen dieses lächerlich überschätzten Menschen wurden weite Gebiete Chinas, Indochinas und des Pazifikraums geplündert und versklavt. In seinem Namen wurden Millionen indoktrinierter Japaner zu Märtyrern gemacht und geopfert. Weil um den Gottkaiser so ein hysterischer Kult betrieben wurde, schien es durchaus im Bereich des Möglichen, dass sich das gesamte japanische Volk in den Selbstmord flüchten würde, sollte er bei Kriegsende persönlich in Gefahr geraten. So beschloss man, dass er bleiben durfte, aber fortan nur noch einen Anspruch darauf hatte, Kaiser – und vielleicht ein bisschen göttlich – zu sein, aber streng genommen eben kein Gott. Dieses Einlenken vor der Macht der religiösen Meinung erzwingt das Eingeständnis, dass Glaube und Gottesverehrung Menschen zu wahrhaft schlechtem Betragen veranlassen kann.
    Wer der Religion die »säkulare« Tyrannei gegenüberstellt, hofft darauf, dass beides vergessen wird: die enge Beziehung zwischen den christlichen Kirchen und dem Faschismus sowie die Kapitulation der Kirchen vor dem Nationalsozialismus. Das behaupte nicht nur ich – die Kirchenführungen haben es auch eingeräumt. Wie miserabel ihr Gewissen in diesem Punkt ist, illustriert ein Zitat, das sich hartnäckig hält. Auf religiösen Websites und in religiöser Propaganda stößt man immer wieder auf eine Aussage, die Albert Einstein 1940 gemacht haben soll:
    Da ich die Freiheit schätze, erwartete ich, als die Revolution nach Deutschland kam, dass die Universitäten sie verteidigen würden, denn sie hatten sich immer damit gerühmt, der Wahrheit verpflichtet zu sein. Aber nein, die Universitäten wurden umgehend zum Schweigen gebracht. Dann zählte ich auf die großen Zeitungen, die früher in flammenden Leitartikeln ihre Liebe zur Freiheit proklamiert hatten. Doch auch sie wurden wie die Universitäten innerhalb weniger Wochen zum Schweigen gebracht. ... Nur die Kirche stellte sich aufrecht Hitlers Kampagne zur Unterdrückung der Wahrheit in den Weg. Ich habe nie ein besonderes Interesse an der Kirche gehabt, doch nun fühle ich eine große Zuneigung und Bewunderung, weil nur die Kirche den Mut und die Beharrlichkeit hatte, für intellektuelle Wahrheit und moralische Freiheit einzustehen. Ich muss daher bekennen, dass ich nun rückhaltlos lobe, was ich einst verachtete.
    Dieses Zitat, das – ohne verifizierbare Quelle – zum ersten Mal in der Zeitschrift Time erschien, wurde in einer landesweit übertragenen Sendung von dem berühmten Geistlichen und Fürsprecher der katholischen Kirche in den USA Fulton Sheen zitiert und ist seither im Umlauf. William Waterhouse hat nun in einem Aufsatz darauf hingewiesen, dass es überhaupt nicht nach Einstein klingt. [FUSSNOTE64]
    Zum einen ist die Sprache zu blumig, zum anderen wird die Verfolgung der Juden nicht einmal erwähnt. Der besonnene und umsichtige Einstein setze sich zudem in ein törichtes Licht, wenn er behaupte, er habe etwas »verachtet«, für das er »nie besonderes Interesse« hatte. Eine weitere Schwierigkeit bestehe darin, dass die Aussage in keiner Anthologie mit Einsteins schriftlichen oder mündlichen Kommentaren auftaucht. Waterhouse trieb schließlich im Einstein-Archiv in Jerusalem einen nicht veröffentlichten Brief auf, in dem der alte Mann 1947 beklagte, das Lob, das er einst einigen deutschen Kirchenmännern (nicht Kirchen) ausgesprochen habe, sei bis zur Unkenntlichkeit aufgeblasen worden.
    Wer wissen möchte, was Einstein in den frühen Tagen von Hitlers Barbarei wirklich gesagt hat, kann es jederzeit nachlesen. Zum Beispiel Folgendes:
    Ich hoffe, dass in Deutschland bald gesunde Verhältnisse eintreten werden und dass dort in Zukunft die großen Männer wie Kant und Goethe nicht nur von Zeit zu Zeit gefeiert werden, sondern dass sich auch die von

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