Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
setzte Seine Heiligkeit folgenden Brief auf:
Dem Hochzuehrenden Herrn Adolf Hitler, Führer und Kanzler des Deutschen Reiches...
Wir legen... gleich zu Beginn Unsere(s) Pontifikats Wert darauf, Ihnen zu versichern, dass Wir dem Ihrer Obsorge anvertrauten Deutschen Volke in innigem Wohlwollen zugetan bleiben... In angenehmer Erinnerung an die langen Jahre, da Wir als Apostolischer Nuntius in Deutschland mit Freude alles daran setzten, um das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im gegenseitigen Einvernehmen und hilfsbereiten Zusammenwirken beider Teile zu ordnen und zu gedeihlicher Weiterentwicklung zu bringen, richten Wir jetzt zumal auf die Erreichung solchen Zieles das ganz dringende Verlangen, welches die Verantwortung Unseres Amtes Uns eingibt und ermöglicht. Wir geben Uns der Hoffnung hin, dass dieser Unser heißer Wunsch, der mit der Wohlfahrt des Deutschen Volkes und der wirksamen Förderung jeglicher Ordnung aufs engste verbunden ist, mit Gottes Hilfe zu glücklicher Verwirklichung gelange.
Sechs Jahre nach diesem bösartigen und törichten Brief stand das einst wohlhabende und zivilisierte deutsche Volk vor Schuttbergen, während die gottlose Rote Armee auf Berlin zufegte. Doch ich erwähne diese Verbindung aus einem anderen Grund. Die Gläubigen sehen im Papst den Stellvertreter Christi auf Erden und den Hüter der Schlüssel des heiligen Petrus. Daran dürfen sie natürlich gern glauben und auch daran, dass Gott entscheidet, wann er die Amtszeit des einen Papstes beenden oder, was wichtiger ist, die Amtszeit eines anderen beginnen lassen möchte. Dies würde bedeuten, dass man den Tod eines nazifeindlichen und den Amtsantritt eines nazifreundlichen Papstes wenige Monate vor Hitlers Einmarsch in Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs als Folge des göttlichen Willens betrachten müsste. Wenn man sich diesen Krieg genauer ansieht, so wird man feststellen, dass fünfundzwanzig Prozent der SS-Mitglieder praktizierende Katholiken waren und dass keinem Katholiken wegen seiner Beteiligung an Kriegsverbrechen je mit der Exkommunizierung gedroht wurde. (Joseph Goebbels wurde exkommuniziert, doch das war bereits früher, und er hatte es sich selbst zuzuschreiben, denn er hatte sich des Vergehens schuldig gemacht, eine Protestantin zu heiraten.) Kein Mensch und keine Institution ist vollkommen, das ist klar. Aber es gibt wohl keinen beeindruckenderen Beweis dafür, dass geweihte Institutionen menschgemacht sind.
Die Zusammenarbeit wurde nach dem Krieg fortgesetzt, als der Vatikan gesuchte Naziverbrecher über die berüchtigten »Rattenlinien« nach Südamerika verschwinden ließ. Der Vatikan, der Pässe, Dokumente und Geld besorgen sowie Kontakte herstellen konnte, kümmerte sich um das Fluchtnetz und alles, was für Unterkunft und Unterhalt am Zielort notwendig war. Als wäre das nicht schon schlimm genug, kollaborierte der Vatikan in diesem Zusammenhang auch mit den ultrarechten Diktaturen der südlichen Hemisphäre, die zum überwiegenden Teil nach faschistischem Modell organisiert waren. Flüchtige Folterer und Mörder wie Klaus Barbie machten häufig eine zweite Karriere als Diener solcher Regime, die bis zu ihrem beginnenden Zusammenbruch in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine stabile Beziehung gegenseitiger Unterstützung mit dem katholischen Klerus vor Ort unterhielt. So überdauerte die Verbindung zwischen Kirche und Faschismus sowie Nationalsozialismus das Dritte Reich.
Viele Christen gaben bei dem Versuch, in diesen düstersten Zeiten des 20. Jahrhunderts ihre Mitmenschen zu beschützen, ihr Leben, doch die Wahrscheinlichkeit, dass sie dies auf priesterlichen Rat hin taten, ist statistisch beinahe zu vernachlässigen. Das ist auch der Grund dafür, dass wir mit Ehrfurcht der wenigen Kirchenleute gedenken, die ihrem Gewissen folgten, etwa Dietrich Bonhoeffer und Martin Niemöller. Das Papsttum konnte erst in den 1980er-Jahren einen Kandidaten aus dem Kontext der »Endlösung« für die Heiligsprechung auftreiben, wobei es sich um einen recht zweifelhaften Priester handelte, der sich – nachdem er sich in Polen nachgewiesenermaßen lange Zeit als Antisemit hervorgetan hatte – in Auschwitz beispielhaft verhielt. Ein früherer Kandidat, der einfache Österreicher Franz Jagerstatter, erwies sich leider als ungeeignet: Er hatte sich zwar geweigert, in Hitlers Armee zu kämpfen, weil er von höherer Stelle den Auftrag habe, seinen Nächsten zu lieben, doch während er im Gefängnis
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