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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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Nazareth sei in Wahrheit Sozialist gewesen. Aus guten wie schlechten Motiven – Erzbischof Romero aus El Salvador war ein mutiger und prinzipientreuer Mensch, was man von manch einem Geistlichen in den nicaraguanischen »Basisgemeinden« nicht sagen kann – verwarf das Papsttum dies als Ketzerei. Hätte es doch auch den Faschismus und den Nationalsozialismus so schnell und unmissverständlich verdammt.
    In sehr wenigen Fällen, etwa in Albanien, versuchte der Kommunismus die Religion vollständig auszurotten und einen gänzlich atheistischen Staat zu proklamieren. Das zog die extreme Verehrung einer mittelmäßigen Persönlichkeit wie des Diktators Enver Hoxha nach sich, aber auch heimliche Taufen und Zeremonien, die von der völligen Entfremdung des gemeinen Volkes vom Regime zeugten. Die modernen Vertreter einer säkularen Gesellschaft sprechen sich nicht ansatzweise für ein Verbot religiöser Riten aus. Sigmund Freud beschrieb den religiösen Impuls in Die Zukunft einer Illusion recht zutreffend als im Wesentlichen unausrottbar, solange die menschliche Spezies nicht ihre Angst vor dem Tod und ihren Hang zum Wunschdenken bewältigt habe. Dass dies geschieht, erscheint allerdings eher unwahrscheinlich. Die totalitären Staaten haben lediglich demonstriert, dass der religiöse Impuls – das Bedürfnis nach Gottesverehrung – noch abscheulichere Formen annehmen kann, wenn er unterdrückt wird, was wiederum nicht gerade für diese Neigung spricht.
    In den ersten Monaten dieses Jahrhunderts besuchte ich Nordkorea. Hier, in einem hermetisch abgeschlossenen Viereck, umgeben vom Meer und einer nahezu unüberwindbaren Grenze, haben wir ein Land, das sich vollkommen der Beweihräucherung seiner Führer verschrieben hat. Jede wache Minute huldigt der Bürger – der Untertan – dem Höchsten Wesen und seinem Vater. In jeder Schulklasse ertönen Lobgesänge, alle Filme, Opern und Bühnenstücke sind ihnen gewidmet, alle Radio- und Fernsehübertragungen ihnen geweiht. Dasselbe gilt für Bücher, Zeitschriften und Zeitungsartikel, Sportereignisse und den Arbeitsplatz. Ich hatte mich immer gefragt, wie es wohl ist, wenn man unaufhörlich Lobeshymnen singen muss – nun weiß ich es. Auch der Teufel hat dort seinen Platz: Die ständig drohende Gefahr, die von Außenseitern und Nichtgläubigen ausgeht, wird mit unerbittlicher Wachsamkeit bekämpft, unter anderem mit täglichen Ritualen am Arbeitsplatz, die den Hass auf das »Andere« tief verwurzeln. Der nordkoreanische Staat entstand etwa zur gleichen Zeit wie das Buch 1984, und fast könnte man meinen, der Heilige Vater des Staates, Kim Il Sung, habe den Roman mit der Bitte erhalten, ihn in die Praxis umzusetzen. Doch nicht einmal Orwell wagte es, die Geburt des Großen Bruders mit wundersamen Zeichen und Omen einhergehen zu lassen – Vögeln zum Beispiel, die das herrliche Ereignis mit Liedern in menschlicher Sprache preisen. Und sicher hätte in 1984 die innere Partei auf dem Luftstützpunkt Nummer eins von Ozeanien zu Zeiten einer schrecklichen Hungersnot nicht Milliarden der ohnehin knappen Dollar ausgegeben, um zu beweisen, dass lachhafte Säugetiere wie Kim Il Sung und sein erbärmlicher Sohn zwei Inkarnationen einer Person sind. Nordkorea hat mit dieser Spielart der von Athanasius scharf verurteilten arianischen Ketzerei als einziger Staat der Erde einen Toten als Staatsoberhaupt: Kim Jong Il ist Parteivorsitzender und Oberbefehlshaber, doch die Präsidentschaft hat für alle Zeiten sein verstorbener Vater inne. Damit wird das Regime zu einer Art Nekrokratie oder Mausolokratie, der zur Dreifaltigkeit nur noch eine Figur fehlt. Zwar spielt das Jenseits in Nordkorea keine Rolle, da von einer Flucht in egal welche Richtung stark abgeraten wird, es heißt aber, dass die beiden Kims nach ihrem Tod weiter über die Menschen herrschen werden. Wer sich näher mit Nordkorea beschäftigt, erkennt schnell, dass er es nicht so sehr mit einer Extremform des Kommunismus zu tun hat – dieser Begriff taucht in den rauschhaften Hingabezeremonien kaum auf –, sondern mit einer degenerierten, aber ausgefeilten Form des Konfuzianismus und der Ahnenverehrung.
    Als ich mit einer Mischung aus Erleichterung, Wut und bis heute anhaltendem Mitleid aus Nordkorea abreiste, verließ ich einen totalitären und gleichzeitig religiösen Staat. Ich habe seither mit vielen mutigen Menschen gesprochen, die dieses grauenhafte System von innen und von außen zu untergraben versuchen. Einige der

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