Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
mutigsten unter diesen Widerständlern sind zugegebenermaßen fundamentalistische christliche Antikommunisten. Einer dieser beherzten Menschen gestand in einem Interview, das er mir vor nicht allzu langer Zeit gab, dass es ihm nicht leichtfalle, vor den halb verhungerten und verängstigten Menschen, denen es gelungen ist, aus dem Gefängnisstaat zu entkommen, vom Erlöser zu predigen. Das Konzept eines unfehlbaren und allmächtigen Erlösers, sagten sie, komme ihnen allzu bekannt vor. Eine Schüssel Reis, die Teilhabe an einer umfassenderen Kultur und ein wenig Ruhe vor dem entsetzlichen Getöse der Pflichtbegeisterung – mehr brauchten sie im Moment nicht. Wer das Glück hat, es nach Südkorea oder in die USA zu schaffen, wird auch dort wieder mit einem Messias konfrontiert. Der Knastbruder und Steuerhinterzieher Sun Myung Moon, der unangefochten der Vereinigungskirche vorsteht und der extremen Rechten in den USA zuarbeitet, ist einer der Drahtzieher in Sachen »Intelligent Design«. Eine führende Figur dieser sogenannten Bewegung ist Jonathan Wells, der seinen Gottmenschen und Guru hartnäckig als »Vater« bezeichnet. Der Autor der lachhaften antievolutionären Abhandlung The Icons of Evolution erzählt rührend: »Die Worte des Vaters, meine Forschungen und meine Gebete haben mich davon überzeugt, dass ich mein Leben der Zerstörung des Darwinismus widmen muss, so wie viele meiner Glaubensbrüder in der Vereinigungskirche ihr Leben bereits der Zerstörung des Marxismus gewidmet haben. Als der Vater mich (gemeinsam mit etwa einem Dutzend weiterer Absolventen des Priesterseminars) erwählte, 1978 ein Promotionsstudium aufzunehmen, ergriff ich diese Chance, in den Kampf zu ziehen.« Dr. Wells’ Buch wird in der Geschichte des Schwachsinns nicht einmal als Fußnote überdauern, doch nachdem ich in beiden koreanischen Staaten »Väter« am Werk gesehen habe kann ich mir in etwa vorstellen, wie es im »burned-over district« im Westen des Bundesstaates New York ausgesehen haben muss, als die Gläubigen dort den Ton angaben.
Selbst die sanftmütigste Religion wird zugeben müssen, dass sie eine »totale« Lösung anstrebt, in der gewissermaßen ein blinder Glaube herrscht und alle Aspekte des privaten und öffentlichen Lebens einer permanenten Überwachung von oben unterworfen sind. Diese ständige Aufsicht, die meist mit der Androhung ewiger Rache einhergeht, kehrt nicht immer die besten Eigenschaften des Menschen heraus. Natürlich gehen auch aus der Befreiung von der Religion nicht immer die besten Menschen hervor. Um zwei augenfällige Beispiele zu nennen: Einer der größten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts, J. D. Bernal, war ein ergebener Anhänger Stalins und verschwendete einen Großteil seines Lebens damit, die Verbrechen seines Idols zu rechtfertigen. H. L. Mencken, einer der besten Religionssatiriker, war allzu begeistert von Nietzsche und sprach sich für eine Form des Sozialdarwinismus aus, der die Euthanasie und die Geringschätzung Schwacher und Kranker einschloss. Zudem hatte er ein Faible für Adolf Hitler und schrieb eine unverzeihlich wohlwollende Rezension zu Mein Kampf. [FUSSNOTE67]
Der Humanismus hat sich für viele Verbrechen zu entschuldigen. Doch er kann das tun und seine Fehler sogar korrigieren, ohne dabei das Fundament eines unabänderlichen Glaubenssystems zu erschüttern oder infrage zu stellen. Totalitäre Systeme, egal welcher Form, sind fundamentalistisch und, wie wir heute sagen würden, »faith-based«, also religiös.
In ihrer maßgeblichen Studie zum Phänomen des Totalitarismus hatte Hannah Arendt durchaus Grundsätzliches zu sagen, als sie sich ausführlich mit dem Antisemitismus befasste. Die Vorstellung, dass eine Gruppe von Menschen – sei sie nun als Nation oder als Religion definiert – für alle Zeiten und unrettbar verdammt sein könnte, war und ist im Wesentlichen eine totalitäre. Es ist grauenhaft faszinierend, dass Hitler seine Karriere begann, indem er dieses wahnsinnige Vorurteil propagierte, und dass Stalin am Ende sowohl Opfer als auch Befürworter dieser Wahnidee war. Doch zuvor hatte die Kirche den Virus jahrhundertelang am Leben gehalten. Der heilige Augustinus hatte eine ausgeprägte Vorliebe für den Mythos des Ewigen Juden und die Vorstellung, dass das Exil der Juden als Beweis für die göttliche Gerechtigkeit zu werten sei. Auch die orthodoxen Juden sind nicht frei von Schuld. Mit der Behauptung, in einem besonderen Bund mit dem Allmächtigen
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