Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
»erwählt« worden zu sein, forderten sie Hass und Misstrauen geradezu heraus und legten eine eigene Form des Rassismus an den Tag. Es sind aber vor allem die säkularen Juden, die von den totalitären Regimen mit Hass verfolgt wurden und werden, sodass es ohnehin unsinnig wäre, das Opfer zum Sündenbock machen zu wollen. Der Jesuitenorden nahm bis ins 20. Jahrhundert nur Männer auf, die nachweisen konnten, dass über mehrere Generationen hinweg kein jüdisches Blut in ihrer Familie geflossen war. Der Vatikan predigte, alle Juden trügen die Verantwortung für den Gottesmord. Die französische Kirche stachelte den Mob gegen Dreyfus und »die Intellektuellen« auf. Der Islam hat »den Juden« nie verziehen, dass sie Mohammed kennenlernten und ihn nicht als den authentischen Gottesboten akzeptierten. Da die Religion in ihren heiligen Schriften so viel Wert auf Stammeszugehörigkeit, Dynastie und rassische Herkunft legte, muss sie die Verantwortung dafür übernehmen, dass sie eines der primitivsten Ammenmärchen der Menschheit über viele Generationen weitergereicht hat.
Die Verbindung zwischen Religion, Rassismus und Totalitarismus prägt auch jene andere schreckliche Diktatur des 20. Jahrhunderts: das abscheuliche Apartheidsystem in Südafrika. Hier handelte es sich nicht nur um die Ideologie einer Niederländisch sprechenden Volksgruppe, die Menschen anderer Hautfarbe zu unbezahlter Arbeit zwang, sondern auch um eine praktische Umsetzung des Calvinismus. Die niederländische Reformkirche lehrte als Dogma, dass es Schwarzen und Weißen laut Bibel untersagt sei, sich zu vermischen, geschweige denn ein gleichberechtigtes Leben zu führen. Rassismus ist definitionsgemäß Totalitarismus, denn er brandmarkt ein Opfer in alle Ewigkeit und verweigert ihm das Recht auf Würde oder Privatsphäre, ja sogar das Grundrecht darauf, einen geliebten Menschen der »falschen« Sippe zu heiraten und mit ihm oder ihr Kinder zu bekommen, ohne dass diese Verbindung gesetzlich annulliert würde. Dieser Rassismus überschattete das Leben von Millionen von Menschen im »christlichen Westen« unserer Zeit. Die herrschende Nationale Partei, die auch stark antisemitisch infiziert war und sich im Zweiten Weltkrieg auf die Seite des deutschen NS-Staates schlug, verließ sich auf die Ergüsse von der Kanzel, die ihren eigenen Blutmythos eines Buren-Exodus und das damit verbundene Exklusivrecht auf das »gelobte Land« rechtfertigten. Aus dieser Afrikaans-Version des Zionismus entstand ein rückständiger und despotischer Staat, in dem die Rechte aller anderen Völker abgeschafft wurden und Korruption, Chaos und Brutalität am Ende sogar das Überleben der Buren selbst gefährdeten. Als es so weit war, hatten die unterbelichteten Kirchenführer eine Offenbarung, nach der die stufenweise Abschaffung der Apartheid plötzlich möglich war. Das entschuldigt aber niemals das Unrecht, das die Kirche anrichtete, als sie sich noch stark genug dazu fühlte. Den vielen säkularen Christen und Juden, vielen atheistischen und agnostischen Kämpfern im Afrikanischen Nationalkongress ist es zu verdanken, dass der südafrikanischen Gesellschaft die völlige Barbarei und die Zerstörung von innen erspart wurde.
Mit der alten Idee der Diktatur, die mehr als nur säkulare und alltägliche Probleme regeln konnte, wurde im vergangenen Jahrhundert ausgiebig improvisiert. Die Spielarten reichten vom Geschwafel der griechisch-orthodoxen Kirche von einem »Griechenland für christliche Griechen«, als die Militärjunta 1967 die Macht an sich riss, bis hin zur allumfassenden Unterjochung eines ganzen Landes durch die Roten Khmer in Kambodscha, die ihre Macht auf die vorgeschichtlichen Tempelanlagen und Legenden von Angkor zurückführten. Auch der bereits erwähnte König Sihanouk, mal Freund, mal Feind der Roten Khmer, der sich vor diesen in die Fittiche der chinesischen Stalinisten flüchtete, gefiel sich hin und wieder in der Rolle des Gottkönigs. Irgendwo dazwischen ist der Schah von Persien angesiedelt, der sich als »Schatten Gottes« und »Licht der Arier« betrachtete, die weltliche Opposition unterdrückte und sich als Hüter der schiitischen Schreine aufspielte. Seiner Großmannssucht folgte eine ihres engen Verwandten, Khomeinis Häresie der vilayat-e fakih, also die totale Herrschaft der Mullahs, die ihren verstorbenen Führer heute als ihren Gründervater präsentieren, dessen heilige Worte auf ewig gültig seien. Am äußersten Ende der Skala findet
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