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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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Fortschritte gemeint – zum Teil von den Azteken und den Chinesen vorweggenommen – die so viel mit dem »Glauben« zu tun haben wie ihre Vorläufer mit Menschenopfern und Imperialismus. Und abgesehen von sehr wenigen Einzelfällen, können wir nicht wissen, wie viele dieser Architekten, Maler und Forscher sich der Überprüfung ihrer innersten Gedanken durch die Gottesfürchtigen entzogen. Galilei hätte seiner Arbeit mit dem Fernrohr womöglich ungestört nachgehen können, hätte er nicht unklugerweise deren kosmologische Folgen zugegeben.
    Skepsis, Glaubenszweifel und ausgemachter Unglauben äußern sich schon immer auf die im Wesentlichen gleiche Art. Seit jeher wurde aus der Beobachtung der natürlichen Ordnung gefolgert, dass ein Schöpfer nicht da oder nicht notwendig sei. Seit jeher wird scharfsinnig erkannt, dass die Religion menschliche Wünsche oder Entwürfe widerspiegelt. Es war nie besonders schwer zu erkennen, dass die Religion Hass und Krieg verursacht und dass das Festhalten an ihr Ignoranz und Aberglauben voraussetzt. Satiriker und Dichter, Philosophen und Forscher erklärten, wenn Dreiecke Götter hätten, so wären ihre Götter dreieckig, so, wie die thrakischen Götter blond und blauäugig waren.
    Der Gedanke muss zwar schon vorher da gewesen sein, doch erstmals wird die Kollision zwischen unserem logischen Denkvermögen und einer Form des organisierten Glaubens wohl in dem Prozess gegen Sokrates im Jahr 399 v. Chr. beispielhaft vorgeführt. Für mich ist es dabei völlig unerheblich, dass wir nicht mit Sicherheit wissen, ob Sokrates überhaupt existiert hat. Die Zeugnisse seines Lebens und seine Worte sind uns über ähnlich viele Umwege überliefert wie die Bücher der jüdischen und christlichen Bibel sowie der Hadith des Islam. Die Philosophie ist indes auf Beweise gar nicht angewiesen, weil sie sich nicht mit »offenbarter« Weisheit befasst. Die Berichte, die uns zum Leben des Sokrates vorliegen – eines stoischen Soldaten, der äußerlich ein wenig dem Schwejk ähnelte, eine zänkische Frau hatte und zur Katalepsie neigte –, sind plausibel und völlig hinreichend. Auf Platons Wort hin, der immerhin ein Zeitgenosse war, dürfen wir annehmen, dass Sokrates in Athen in einer Phase der Paranoia und Tyrannei wegen Gottlosigkeit angeklagt wurde und wusste, dass er sein Leben verlieren würde. Wie aus den wunderbaren Worten der Apologie hervorgeht, beabsichtigte er nicht, seine Haut zu retten, indem er auf etwas schwor, an das er nicht glaubte – wie es später einer tat, der mit der Inquisition konfrontiert war. Sokrates war zwar kein Atheist, galt aber zu Recht als unzuverlässig, weil er für Gedankenfreiheit und freie Forschung eintrat und sich weigerte, Dogmen jeglicher Art gutzuheißen. Alles, was er wirklich »wusste«, so sagte er, war das Ausmaß seines eigenen Nichtwissens – das ist für mich die Definition eines gebildeten Menschen. Platon zufolge hielt sich der große Athener durchaus an die üblichen Riten der Stadt, sagte aus, er habe vom Orakel von Delphi den Auftrag erhalten, Philosoph zu werden, und sprach nach seiner Verurteilung zum Tode durch den Schierlingsbecher auf dem Sterbebett von einem Leben nach dem Tod, in dem jene, die durch geistige Übung die Welt hinter sich gelassen hätten, möglicherweise ein Dasein des reinen Geistes führen würden. Doch auch hier versäumte er nicht, einzuschränkend hinzuzufügen, es könne durchaus auch anders sein. Die Frage war es wie immer wert, ihr nachzugehen. Die Philosophie beginnt, wo die Religion aufhört, so wie die Astronomie die Astrologie weiterführt und die Chemie ansetzt, wo die Alchemie nicht mehr weiterweiß. Von Sokrates lassen sich darüber hinaus zwei überaus wichtige Argumente übernehmen. Erstens, dass das Gewissen angeboren ist und zweitens, dass dogmatische Glaubensanhänger von einem, der ihre Lehren wörtlich zu nehmen vorgibt, gnadenlos vorgeführt werden können.
    Sokrates glaubte, einen Daimon zu haben, ein Orakel oder eine innere Stimme, dessen gute Ratschläge er dankbar annahm. Jeder, so er nicht gerade ein Psychopath ist, kennt dieses Gefühl mehr oder weniger ausgeprägt. Adam Smith hatte einen ständigen Partner, mit dem er unhörbar im Gespräch war und der als innere Kontrolle fungierte. Sigmund Freud beschrieb die Stimme der Vernunft als leise, aber hartnäckig. C. S. Lewis meinte derweil, das Vorhandensein des Gewissens sei ein Hinweis auf den göttlichen Funken, und versuchte damit des

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