Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
dass die Religion von Menschen gemacht wurde. Da ist zunächst das monarchische Geknurre von Respekt und Furcht, begleitet von einem energischen Hinweis auf Gottes Allmacht und seine grenzenlose Rache, das auch ein babylonischer oder assyrischer König seinen Schreibern als Vorspann zu einer Bekanntmachung hätte diktieren können. Es folgt die scharfe Ermahnung, fleißig zu arbeiten und nur zu ruhen, wenn es der Herrscher befiehlt. Daran schließen sich knappe legalistische Verbote an, deren eines meist falsch wiedergegeben wird, denn im hebräischen Original heißt es »Du sollst keinen Mord begehen«. Egal wie gering man die jüdische Tradition achtet, so ist es schon eine Beleidigung für Moses Volk, dass es bis dahin unter dem Eindruck gestanden haben soll, Mord, Ehebruch, Diebstahl und Falschaussage seien erlaubt. Der gleiche unwiderlegbare Vorwurf lässt sich übrigens gegen die späteren Lehren Jesu erheben: Seine Geschichte vom barmherzigen Samariter auf der Straße nach Jericho handelt von einem Mann, der human und großzügig handelte, ohne je vom Christentum gehört zu haben, geschweige denn den unbarmherzigen Lehren des alttestamentlichen Gottes gefolgt zu sein, der menschliche Solidarität und Mitleid mit keinem Wort erwähnt. Jede Gesellschaft, die je erforscht wurde, hat sich vor so offensichtlichen Verbrechen wie denen, die auf dem Berg Sinai verboten wurden, geschützt. Statt einer Verurteilung böser Taten folgt am Schluss eine seltsam formulierte Verurteilung unreiner Gedanken. Auch sie entpuppt sich als menschgemachtes Produkt der zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten, denn die »Frau« wird in einer Reihe mit den anderen Besitztümern des Nachbarn genannt, seien sie tierisch, menschlich oder materiell. Vor allem aber wird hier das Unmögliche gefordert – ein wiederkehrendes Problem religiöser Edikte. Der Mensch mag sich durch die Androhung von Gewalt davon abhalten lassen, Verbrechen zu begehen, doch den Leuten zu verbieten, auch nur darüber nachzudenken, geht zu weit. Besonders absurd ist es, den Neid auf anderer Leute Besitz oder Reichtümer zu untersagen, und sei es nur, weil Neid zu Nachahmung und Ehrgeiz anspornt, mithin also Positives bewirken kann; die amerikanischen Fundamentalisten, die die Zehn Gebote – fast wie ein Götzenbild – an der Wand eines jeden Klassenzimmers und eines jeden Gerichtssaals sehen wollen, stehen dem Geist des Kapitalismus wahrscheinlich nicht so ablehnend gegenüber. Wenn Gott wirklich wollte, dass die Menschen keine solchen Gedanken hegen, hätte er sich bei der Erfindung der Spezies etwas mehr Mühe geben sollen.
Nun drängt sich natürlich die Frage auf, was die Zehn Gebote nicht sagen. Ist es allzu modern gedacht, wenn auffällt, dass kein Wort über den Schutz von Kindern vor Grausamkeit verloren wird, kein Wort über Vergewaltigung, Sklaverei und Völkermord? Oder ist es allzu »kontextbezogen«, anzumerken, dass einige dieser Vergehen im Weiteren sogar geradezu empfohlen werden? In Vers 2 des unmittelbar folgenden Kapitels bittet Gott Mose, seinen Anhängern die Bedingungen für den Kauf und Verkauf von Sklaven (und das Durchbohren des Ohrs mit einem Pfriem) sowie die Regeln für den Verkauf ihrer Töchter mitzuteilen. Dem folgen die berühmten Verse »Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn« sowie weitschweifige Erklärungen zu Rindern, die Menschen oder sich gegenseitig mit den Hörnern stoßen. Die detaillierten Vorschriften zum Thema Landwirtschaft brechen in 22,17 plötzlich mit der Aufforderung ab: »Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen«, die Christen jahrhundertelang einen Freibrief zum Foltern und Verbrennen unangepasster Frauen ausstellte. Einige Richtlinien sind moralisch einwandfrei und überdies recht hübsch formuliert: »Du sollst der Menge nicht auf dem Weg zum Bösen folgen«, lernte Bertrand Russell von seiner Großmutter – ein Satz, den der alte Häretiker sein Leben lang beherzigte. Hier und da überkommt den Leser aber auch Mitleid für die ausgelöschten und in Vergessenheit geratenen Völker der Hiwiter, Kanaaniter und Hittiter, die vermutlich ebenfalls Bestandteil von Gottes einstiger Schöpfung waren, nun aber erbarmungslos aus ihren Häusern vertrieben wurden, um Platz zu schaffen für die undankbaren und rebellischen Kinder Israels. Auf diesen »Bund« beriefen sich auch die Irredentisten, als sie im 19. Jahrhundert Palästina beanspruchten, was bis zum heutigen Tag nichts als Ärger
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