Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
Schwäche, dass sie allzu klar aus unserem Wunsch erwachse, dem Tod zu entgehen oder ihn zu überleben. [FUSSNOTE28]
Diese Kritik am Wunschdenken ist stark und unwiderlegbar, spart aber die Schrecken, Grausamkeiten und Wahnsinnstaten des Alten Testamentes aus. Wer – einmal abgesehen von einem Priester alter Zeiten, der mit dem erprobten Mittel der Angst Macht ausüben wollte – würde sich wohl ernsthaft wünschen , dass dieses hoffnungslos verquere Lügengebilde auch nur ein Körnchen Wahrheit in sich trüge?
Nun, auch die Christen haben sich vom Wunschdenken leiten lassen und nach »Beweisen« gesucht, und zwar schon lange bevor die Vertreter der zionistischen Archäologieschule zum Spaten griffen. Paulus hatte in seinem Brief an die Galater Gottes Versprechen an die jüdischen Patriarchen den Christen sozusagen vererbt, und im 19. und 20. Jahrhundert stolperte man im Heiligen Land alle paar Meter über einen eifrigen Ausgräber. Der britische General Gordon, der später im Kampf gegen den Mahdi in Khartoum fiel, war in dieser Hinsicht federführend. Der Orientalist und Bibelgelehrte William Albright aus Baltimore machte sich unbeirrt für Josuas Jericho und andere Mythen stark. Einige dieser Ausgräber galten vor dem Hintergrund der primitiven Techniken jener Zeit nicht als Opportunisten, sondern wurden durchaus ernst genommen. Auch moralisch: Der französische Dominikanermönch und Archäologe Roland de Vaux begab sich völlig in die Hände des Schicksals, als er sagte: »Wenn der historische Glaube Israels nicht in der Geschichte begründet ist, so ist dieser Glaube und damit auch unser Glaube irrig.« Ein bewundernswertes und ehrliches Wort, auf das man den guten Ordensmann heute festlegen kann.
Schon lange bevor die moderne Forschung sowie exakte Übersetzungen und genaue Ausgrabungen Erhellendes zutage brachten, lag es durchaus im Vermögen eines denkenden Menschen, zu erkennen, dass es sich bei der »Offenbarung« am Sinai und beim Rest des Pentateuch um eine zusammengeschusterte Fiktion handelt, verfasst geraume Zeit nach den Pseudoereignissen, die sie weder überzeugend noch plausibel schildert. Seit die Bibel in der Schule gelesen wird, ärgern aufgeweckte Schulkinder ihre Lehrer mit unschuldigen, aber nicht zu beantwortenden Fragen. Thomas Paine wurde nie widerlegt, seit er, während er unter der grausamen Verfolgung durch die antireligiösen französischen Jakobiner litt, feststellte,
...dass diese Bücher höchst zweifelhaft sind und dass Mose nicht ihr Autor ist, und weiter, dass sie nicht in Moses Zeit verfasst wurden, sondern erst mehrere Hundert Jahre später, und dass sie als Versuch einer Chronik der Lebensgeschichte Moses und seiner angeblichen Lebenszeit sowie der Zeit davor mehrere Hundert Jahre nach dem Tode Moses von sehr unwissenden und törichten Heuchlern aufgeschrieben wurden, so, wie heutzutage Leute die Geschichte von Ereignissen aufschreiben, die vor vielen Hundert oder vielen Tausend Jahren geschahen oder geschehen sein sollen. [FUSSNOTE29]
Die mittleren Bücher des Pentateuch – das zweite, dritte und vierte; im ersten kommt Mose nicht vor – sprechen von Mose in der dritten Person: »Und Gott redete mit Mose.« Man könnte nun argumentieren, dass Mose von sich selbst lieber in der dritten Person sprach, auch wenn diese Haltung heute gern mit Größenwahn assoziiert wird. Doch Aussagen wie »Aber Mose war ein sehr demütiger Mensch, mehr als alle Menschen auf Erden« (1. Mose 12, 3) wären unter dieser Voraussetzung geradezu lachhaft. Abgesehen davon, dass es aberwitzig wäre, sich als demütig zu beschreiben, indem man sich in seiner Demut als allen anderen Menschen überlegen geriert, dürfen wir nicht vergessen, wie autoritär und blutrünstig Moses Verhalten in nahezu allen anderen Kapiteln geschildert wird. Wir haben somit die Wahl zwischen hochgradiger Ichbezogenheit und falschester Bescheidenheit.
Aber vielleicht kann man Mose auch von beiden Vorwürfen freisprechen, denn für die Verrenkungen des 5. Buchs Mose kann er gar nicht verantwortlich sein. Das Buch gibt eine Einführung in das Thema, der eine Rede Moses folgt; an einen Einschub durch den Erzähler schließt sich eine weitere Rede des Mose an, gefolgt von der Schilderung seines Todes, seiner Bestattung und seiner Großartigkeit – man kann wohl davon ausgehen, dass der Bericht über die Beerdigung nicht von dem Mann stammt, der beerdigt wurde, obwohl das Problem dem Verfasser des Textes offenbar nicht
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