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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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und eindeutige Vokale daher krass divergierende Interpretationen, was sich bis heute auswirkt. Das mag im Falle der Ilias keine Rolle spielen, doch hier geht es immerhin um das unabänderliche (und endgültige) Wort Gottes. Dabei hängen die dürftige Begründung dieses Anspruchs und die fanatische Gewissheit, mit der er erhoben wird, eng zusammen. Um nur ein nicht unerhebliches Beispiel zu nennen: Die arabischen Worte auf dem Felsendom in Jerusalem weichen von allen Versionen ab, die im Koran zu finden sind.
    Noch unsicherer und dürftiger wird die Situation, wenn wir uns dem Hadith zuwenden, der umfangreichen, zunächst mündlich überlieferten Textsammlung, die angeblich dem Propheten zugeschriebene Aussprüche und Taten, die Geschichte von der Kompilation des Korans und Worte von Mohammeds Gefährten enthält. Um als authentisch zu gelten, muss ein Hadith von einer Isnad, einer Kette verlässlicher Zeugen, gestützt sein. Vielen Muslimen dienen diese Anekdoten im Alltag als Richtschnur. So betrachten sie Hunde als unrein, weil Mohammed dies angeblich auch tat. (Mir gefällt besonders die Geschichte, nach der Mohammed hingegen den langen Ärmel seines Gewandes abschnitt, um die darauf schlafende Katze nicht zu wecken; Katzen blieb daher in den muslimischen Ländern die grauenhafte Behandlung weitgehend erspart, die ihnen häufig von Christen zuteil wurde, weil sie die Tiere als satanische Begleiter der Hexen betrachteten.)
    Wie zu erwarten, wurden die sechs autorisierten Hadith-Sammlungen, in denen sich Geschichten aus zweiter, dritter oder vierter Hand von einer langen Isnad-Spule abwickeln (»A sagte B, der es von C hatte, dem es von D berichtet wurde...«), Jahrhunderte nach den betreffenden Ereignissen zusammengestellt. Einer der berühmtesten der sechs Kompilatoren, al-Buchari, starb zweihundertachtunddreißig Jahre nach Mohammeds Tod. Er gilt unter Muslimen als ungewöhnlich verlässlich und ehrlich. Diese Reputation erwarb er sich, indem er von den dreihunderttausend Zitaten, die er im Laufe seines lebenslangen Projektes sammelte, zweihunderttausend als wert- und haltlos ausschloss. Durch den Ausschluss weiterer zweifelhafter Überlieferungen und fragwürdiger Isnads reduzierte er die Gesamtzahl auf zehntausend Hadithe. Glaube, wer mag, dass der fromme al-Buchari es vermochte, aus dieser Unmenge mündlicher Zeugnisse und verschwommener Erinnerungen mehr als zwei Jahrhunderte später nur die echten und unverfälschten herauszupicken, die einer genaueren Untersuchung standhielten.
    Einige Kandidaten waren wahrscheinlich leichter herauszusieben als andere. Der ungarische Forscher Ignaz Goldziher, so schreibt Reza Aslan in einer jüngeren Studie, zeigte als einer der Ersten auf, dass viele Hadithe »Sätze aus dem Alten und Neuen Testament, rabbinische Sprüche und solche aus den apokryphen Evangelien, ja sogar Lehren der griechischen Philosophen oder Sprüche persischer und indischer Weisheit waren; und >auch das Vaterunser fehlte nicht in wohlbeglaubigter Hadith-Form<«. [FUSSNOTE36]

    Ganze Abschnitte mehr oder weniger wörtlich zitierter Bibelstellen finden sich im Hadith, darunter auch die Parabel von den Arbeitern, die im letzten Moment eingestellt werden, sowie die Aufforderung »Lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut«, womit letzteres Beispiel belanglosen Pseudotiefsinns seinen Platz in gleich zwei offenbarten Schriften hat. Aslan merkt an, dass die muslimischen Rechtsgelehrten im neunten Jahrhundert, als sie in einem als Idschtihad bekannten Vorgang das islamische Gesetz formulierten und kodifizierten, zahlreiche unechte Hadithe »in zwei Kategorien einteilten: solche, von denen sich der Lügner materielle Vorteile versprach; und solche, die aus ideologischem Interesse verbreitet wurden«. Der Islam wehrt sich zu Recht gegen die Vorstellung, er sei ein neuer Glaube, geschweige denn die Aufhebung früherer Religionen. Dabei stützt er sich auf die Prophezeiungen des Alten Testaments und die Evangelien des Neuen wie auf eine Krücke und bedient sich ihrer wie einer Quelle. Im Gegenzug zu dieser epigonalen Bescheidenheit fordert er nicht mehr und nicht weniger als die Anerkennung als absolute und endgültige Offenbarung.
    Wie nicht anders zu erwarten, tun sich dabei zahlreiche Widersprüche auf. Oft werden die Schriften dahin gehend zitiert, dass es »keinen Zwang im Glauben« gibt und Angehörige anderer Glaubensrichtungen beschwichtigend als »Völker der Schrift« bezeichnet werden

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