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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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Ishak niedergeschrieben, ging aber im Original verloren, sodass der Text nur in einer neu formulierten Version des im Jahr 834 verstorbenen Ibn Hisham vorliegt. Zu dieser dubiosen und auf Hörensagen gegründeten Entstehungsgeschichte kommt hinzu, dass es keinen allgemein akzeptierten Bericht darüber gibt, wie die Anhänger des Propheten den Koran zusammengestellt haben oder wie seine diversen Aussprüche (die zum Teil von Sekretären niedergeschrieben wurden) kodifiziert wurden. Dieses bereits aus dem Christentum vertraute Problem wird durch die Nachfolgefrage weiter verschärft. Anders als Jesus, der offenbar sehr rasch wieder zur Erde zurückkehren wollte und von dem – ohne Dan Brown zu nahe treten zu wollen – keine Nachkommen bekannt sind, war Mohammed ein General und Politiker, der, obwohl anders als Alexander von Mazedonien mehrfacher Vater, keine Verfügung für seine Nachfolge hinterließ. Unmittelbar nach seinem Tode begannen die Führungsstreitigkeiten, und der Islam durchlief seine erste große Spaltung in Sunniten und Schiiten, ehe er sich überhaupt als Glaubenssystem etabliert hatte. Ohne in diesem Schisma Position beziehen zu müssen, lässt sich sagen, dass mindestens eine der beiden Interpretationsschulen im Irrtum sein muss. Und dass der Islam zunächst ein irdisches Kalifat mit rivalisierenden Führungsanwärtern war, kennzeichnet ihn von Anfang an als menschliches Konstrukt.
    Einigen Islamführern zufolge wuchs während des ersten Kalifats von Abu Bakr unmittelbar nach Mohammeds Tod die Sorge, seine mündlich überlieferten Worte könnten in Vergessenheit geraten. Auf dem Schlachtfeld waren dermaßen viele muslimische Soldaten gefallen, dass die Zahl derer, die den Koran verlässlich im Gedächtnis hatten, alarmierend klein geworden war. Daher wurde beschlossen, alle lebenden Zeugen herbeizubringen und alle schriftlichen Zeugnisse, seien sie auf Papier, Steine, Palmblätter, Rippen oder Lederfetzen gekritzelt, zusammenzutragen und Said ibn Thabit, einen der früheren Sekretäre des Propheten, mit einer offiziellen Kollationierung zu beauftragen. Als das geschehen war, lag den Gläubigen so etwas wie eine autorisierte Version vor.
    Wenn das Vorgehen tatsächlich dieser Beschreibung entsprach, so würde sich der Koran auf eine Zeit datieren lassen, die in der Tat noch sehr nah an Mohammeds Leben war. Doch schnell wird klar, dass über diese Geschichte weder Gewissheit besteht noch Einigkeit herrscht. Manche schreiben die Idee Ali zu, also nicht dem ersten, sondern dem vierten Kalifen und Gründer des Schiismus. Viele andere, vor allem die sunnitische Mehrheit, behaupten, Kalif Uthman, der von 644 bis 656 regierte, habe diese Entscheidung getroffen: Uthman habe von seinen Generälen erfahren, dass es zwischen Soldaten aus verschiedenen Provinzen über unterschiedliche Koranversionen zu Kämpfen gekommen sei, und Said ibn Thabit damit beauftragt, die verschiedenen Texte zu sammeln, zu vereinheitlichen und zu einer Schrift zusammenzuführen. Nach Beendigung dieser Aufgabe befahl Uthman, Abschriften nach Kufa, Basra, Damaskus und in weitere Städte zu schicken, während das Original in Medina blieb. Uthman hätte für die Kanonisierung damit die Rolle gespielt, die Irenäus und Bischof Athanasius von Alexandria bei der Standardisierung, Bereinigung und Zensierung der christlichen Bibel innehatten. Ihr Vorgehen sowie einige Texte galten fortan als heilig und unfehlbar, während andere zu »Apokryphen« erklärt wurden. Uthman ging allerdings deutlich weiter als Athanasius, indem er die Zerstörung aller früheren und konkurrierenden Versionen anordnete.
    Einmal angenommen, es hätte sich wirklich so abgespielt – was bedeuten würde, dass die Forscher nie herausfinden oder auch nur darüber streiten könnten, was zu Mohammeds Zeiten tatsächlich geschah –, so war Uthmans Versuch, die Uneinigkeit zu beenden, dennoch zum Scheitern verurteilt. Die arabische Schriftsprache hat zwei Eigenheiten, aufgrund deren sie als Fremdsprache sehr schwer zu erlernen ist: Sie unterscheidet Konsonanten wie b und t mittels Punkten und hatte in ihrer ursprünglichen Form kein Zeichen oder Symbole für kurze Vokale, die stattdessen durch diverse Striche oder kommaähnliche Zeichen wiedergegeben wurden. Diese Variationen ließen selbst in Uthmans Koranversion stark abweichende Interpretationen zu. Bis gegen Ende des neunten Jahrhunderts die arabische Schrift standardisiert wurde, eröffnete die Koranversion ohne Punkte

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