Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
Sprache und die gleiche Region, aus der auch große Teile des Judaismus und des Christentums stammen. Eine ungehinderte Forschung würde gewiss dem Obskurantismus weitgehend den Garaus machen. Doch ausgerechnet heute, da der Islam seinen Vorläufern nacheifern und sich einer Revision unterwerfen sollte, herrscht unter fast allen anderen Religionen der »weiche« Konsens, dass wir seinen Gläubigen Respekt schulden und ihnen daher gestatten sollten, gerade jetzt darauf zu pochen, dass wir seine Ansprüche wörtlich nehmen. Wieder einmal trägt der Glaube dazu bei, die ungehinderte Forschung und die befreienden Konsequenzen, die sich daraus ergeben könnten, im Keim zu ersticken.
Kapitel zehn:
Billige Wunder und der Niedergang der Hölle
Die Töchter des Hohenpriesters Anius verwandelten in Weizen, Wein oder Öl, was immer sie wollten. Athalida, Tochter des Merkur, erstand mehrmals vom Tode auf. Äskulap erweckte Hippolytus wieder zum Leben. Herkules entriss Alkestis dem Tode. Heres kehrte in die Welt zurück, nachdem er vierzehn Tage in der Hölle verbracht hatte. Die Eltern des Romulus und des Remus waren ein Gott und eine Vestalin. Das Palladion fiel vom Himmel auf die Stadt Troja nieder. Das Haar der Berenike wurde zu einem Sternbild. ...Man nenne mir ein Volk, in dem keine unglaublichen Wunder geschahen, zumal in Zeiten, in denen nur wenige lesen und schreiben konnten.
Voltaire, Philosophisches Wörterbuch
Eine alte Sage erzählt von einem Aufschneider, der nicht müde wurde, mit einem fantastischen Weitsprung zu prahlen, der ihm einst auf der Insel Rhodos gelungen sei. Einen so heldenhaften Sprung habe noch kein Mensch erlebt. Der Maulheld wurde seiner Geschichte nicht überdrüssig, was sich von seinen Zuhörern nicht behaupten lässt. Eines Tages, als er gerade wieder ansetzte, von seiner Großtat zu berichten, brachte ihn einer der Anwesenden mit der barschen Aufforderung zum Schweigen: »Hic Rhodus, hic salta!«, »Hier ist Rhodos, spring hier!«
Nicht nur die Propheten, Seher und großen Theologen haben das Zeitliche gesegnet, auch Wunder gehören wohl der Vergangenheit an. Wären die religiösen Anhänger gescheit oder hätten sie Zutrauen in ihre Überzeugungen, wären sie froh darüber, dass das Zeitalter des Betrugs und der Beschwörungen dem Ende zugeht. Doch einmal mehr gerät der Glaube ins Zwielicht, weil er allein den Gläubigen nicht ausreicht. Noch immer wollen sie sich von konkreten Ereignissen beeindrucken lassen. Das lässt sich recht gut an den Medizinmännern, Zauberern und Wahrsagern früherer Kulturen beobachten: Der Sterndeuter, der als Erster eine Sonnenfinsternis vorhersagen und mithilfe dieses astronomischen Ereignisses seine Mitbürger beeindrucken und einschüchtern konnte, war ein kluger Kopf. In Kambodscha ließen sich die Könige errechnen, an welchem Tag des Jahres der Mekong und der Bassac anschwellen, sich zu einem Strom vereinigen, unter dem gewaltigen Wasserdruck die Fließrichtung ändern und in den großen See Tonle Sap strömen würden. In einer Zeremonie befahl der von Gott ernannte Führer dann termingerecht dem Wasser, in die andere Richtung zu fließen – sogar Mose am Ufer des Roten Meeres hätte da Augen gemacht. In der jüngeren Geschichte schlachtete auch der Showman König Sihanouk von Kambodscha das Naturwunder mit großem Erfolg aus.
Vor diesem Hintergrund kommen uns heute einige »übernatürliche« Wunder erstaunlich trivial vor. Ähnlich einer spiritistischen Sitzung, bei der man den Hinterbliebenen eines Verstorbenen nur zynisch leeres Geschwätz aus dem Jenseits präsentiert, wird nichts wahrhaft Interessantes gesagt oder getan. Der Geschichte von der nächtlichen Flucht Mohammeds nach Jerusalem – der Hufabdruck seines Pferdes Burak soll noch heute auf dem Gelände der al-Aksa-Moschee zu sehen sein – mit dem Argument zu begegnen, dass Pferde nicht fliegen können, wäre lediglich unfreundlich. Relevanter ist da schon ein anderer Hinweis: Seit die Menschen lange und erschöpfende Reisen über ihren Heimatplaneten unternehmen, fantasieren sie, wenn sie tagein, tagaus das Hinterteil des Maultieres vor ihnen anstarren, wie sich die mühselige Sache wohl beschleunigen ließe. Die Siebenmeilenstiefel aus dem Märchen würden dem Träger weiterhelfen, wären aber gewissermaßen nur ein kleiner Schritt. Der jahrtausendealte wahre Menschheitstraum leitet sich aus unserem Neid auf die Vögel ab, die, wie wir heute wissen, die gefiederten Nachkommen der
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