Der Herr von Moor House
Treppenabsatz blieb Megan stehen und schaute sich um. Ein buntes Fenster direkt über der Haustür erregte ihr Interesse, und sie zeigte darauf. “Wie lange ist das schon hier, Gossie?”
“Der alte Master hat es kurz vor seinem Tod einbauen lassen. Als das Fenster im Keller der Abtei-Ruine gefunden wurde, war es völlig unversehrt. Angeblich stellt es den Bruder Sebastian dar. Ob es stimmt, weiß ich nicht.”
Aufmerksam betrachtete Megan das gütige, runde Gesicht des Mönchs, die fleischigen, vor der Brust gefalteten Hände. An einem Finger glänzte ein Ring aus Rubinen und Diamanten. Sie fand es eigentümlich, das Fenster ausgerechnet in der Mauer dieses Tudor-Hauses zu entdecken, wo doch Heinrich VIII. die Zerstörung der Abtei angeordnet hatte und die Familie Blackmore der Krone stets treu ergeben gewesen war.
Aber sie fand keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, denn Mrs Goss bog um die Ecke der Galerie und öffnete eine Tür. “Ich habe das alte Zimmer des Masters für Sie hergerichtet, Miss Meggie. Im Dezember wurde es neu ausgestattet. Hier werden Sie sich sicher wohlfühlen.”
Plötzlich zitterten Megans Beine, und es fiel ihr schwer, der Haushälterin in das große Schlafgemach zu folgen. Es war sehr schön eingerichtet, in verschiedenen Blautönen. Nur mühsam widerstand sie der Versuchung, das Vier-Pfosten-Bett anzustarren, und konzentrierte sich auf das Kaminfeuer. Auch Sophie und Betsy waren mittlerweile eingetreten. Beide schauten sich bewundernd um.
“Sehr hübsch, Gossie”, brachte Megan mühsam hervor. “Das ist Mr Blackmores … einstiges Schlafzimmer?”
“Ja, Miss Meggie. Seit er nach Indien gefahren ist, hat er es nicht mehr benutzt. Jetzt bewohnt er das herrschaftliche Schlafgemach. Wenn Master Giles aus Oxford herkommt, übernachtet er hier drin. Zurzeit allerdings nicht, wegen seines Unfalls.”
“Wegen seines Unfalls?” wiederholte Megan erschrocken.
“Hat es der Master nicht erwähnt? Vor ein paar Wochen fiel sein Bruder vom Pferd und brach sich ein Bein. Inzwischen hat er sich halbwegs erholt, aber er zieht das Schlafzimmer bei der Treppe vor, weil er da nicht so weit gehen muss. Also dürfen Sie nicht glauben, Sie würden ihn aus seinem Zimmer vertreiben.”
“Ist Giles hier?”
Die Haushälterin nickte. “Heute Morgen versprach er mir, er würde Sie in Abwesenheit seines Bruders begrüßen. Wahrscheinlich ist er eingeschlafen. Er langweilt sich immer, wenn der Master nicht da ist.”
“Hat Mr Blackmore das Haus verlassen?”, fragte Megan hoffnungsvoll.
“Nur kurzfristig, mit seinem Verwalter. Zum Dinner kommt er heim.” Mrs Goss wandte sich zur Tür, und so entging ihr Megans unglückliche Miene. “Lassen Sie sich häuslich nieder, Miss. Ich bringe Ihre Nichte in den Nebenraum. Dann schicke ich ein Mädchen mit heißem Wasser und Handtüchern herauf. Wenn Sie sonst noch etwas brauchen, läuten Sie bitte.”
“Unterstehen Sie sich zu lachen!”, ermahnte Megan ihre Zofe, sobald sich die Tür hinter Sophie und der Haushälterin geschlossen hatte.
Obwohl Betsy ihr Bestes tat, um ihr Kichern zu unterdrücken, bebten ihre runden Schultern. “Oh Miss, hätten Sie bloß Ihr entgeistertes Gesicht gesehen, als Mrs Goss erklärte, das sei mal
sein
Zimmer gewesen!”
Nun musste auch Megan lachen. Gut gelaunt warf sie ihren Hut auf eine Kommode im robusten Queen-Anne-Stil. “Eigentlich hätte ich mich daran erinnern müssen. Ich besuchte dieses Haus sehr oft. Chris’ – Mr Blackmores – Schwester Georgiana war meine Freundin.”
“Von dieser Schwester wurde mal gesprochen. Aber ich wusste nicht, dass er auch einen Bruder hat. Mrs Pemberton hat ihn nie erwähnt.”
“Zweifellos ist ihr seine Existenz entfallen. Bedenken Sie, dass sie ihr Elternhaus mit zwanzig verlassen hat, um Mr Pemberton zu heiraten. Damals war Giles erst ein Jahr alt. Inzwischen muss er schon volljährig sein. Wie die Zeit vergeht …”
Zwei Lakaien unterbrachen das Gespräch. Keuchend schleppten sie eine große Truhe ins Zimmer, hochrot vor Anstrengung, was Betsy zu einer verächtlichen Bemerkung veranlasste, nachdem sie hinausgegangen waren. “Erbärmliche Schwächlinge!”
“Ach ja, da fällt mir etwas ein.” Megan setzte sich vor den Toilettentisch und zog die Haarnadeln aus ihren üppigen kastanienroten Locken. “Seien Sie bitte so freundlich und behalten Sie Ihre Meinung für sich, solange wir unter diesem Dach wohnen, Betsy Stoddard. Ich weiß, es wird Sie große Mühe
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