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Der Herzausreißer

Der Herzausreißer

Titel: Der Herzausreißer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Vian
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noch nie zu Gesicht gekommen war.
    »Ich war noch nie auf dem Land«, sagte er. »Wissen Sie, in der Stadt werden die nicht so gemacht, darum interessiert es mich sehr.«
    »In der Stadt«, sagte der Schreiner, »glauben die Leute nicht mehr an Gott.«
    Er sah Jacquemort böse an. In diesem Augenblick ließ der kleine Gehilfe sein Beil fallen und sank mit der Nase vornüber auf den Eichenstamm, den er gerade behauen hatte. Die plötzliche Stille ließ Jacquemort stutzen. Er fuhr herum und ging zu dem Kind. Der Schreiner hatte sich unterdessen ein paar Schritte entfernt und war mit einer alten Konservenbüchse voll Wasser wiedergekommen, das er dem Jungen brutal in den Kragen schüttete. Als er sah, dass sich das Kind nicht wieder erhob, wiederholte er den Vorgang. Der Lehrling seufzte, und Jacquemort trat empört hinzu, um ihm zu helfen; aber schon begann das kleine schmutzige Fäustchen sich wieder zu regen und zum Hieb auszuholen, schwach und monoton.
    »Sie sind zu grob«, sagte Jacquemort zum Schreiner. »Ein Bürschlein in dem Alter! Sie sollten sich wirklich schämen!«
    Der Schlag, der ihn am Kinn traf, schaffte es nicht, ihn zu Fall zu bringen, und er taumelte zwei Schritte zurück, um sein Gleichgewicht wiederzugewinnen. Vorsichtig befühlte er seine Kinnlade. Sein Bart hatte den Schlag gedämpft.
    Der Schreiner hatte sich wieder an seine Arbeit gemacht, als ob nichts Besonderes vorgefallen wäre. Zwischen zwei Hammerschlägen hielt er inne.
    »Komm am Sonntag vorbei und schau sie dir an«, sagte er. »Dann ist sie fertig zusammengebaut. Es ist eine schöne Kanzel.«
    Stolz strich er mit der Hand darüber. Das weiße, polierte Eichenholz schien darunter zu erzittern.
    »Deine Betten werden morgen fertig sein«, sagte er noch. »Du kommst sie dir dann holen. So um fünf.«
    »Abgemacht ...«, antwortete Jacquemort.
    Die Schläge setzten wieder ein. Der starke Leimgeruch verdichtete sich. Jacquemort warf noch einen letzten Blick auf den kleinen Lehrling, zuckte die Achseln und ging hinaus.
    Die Straße war ruhig. Er machte sich wieder auf den Weg nach Hause. Als er an den Fenstern vorbeiging, bewegten sich sacht die Vorhänge. Ein kleines Mädchen kam singend auf die Straße. Es trug einen Emailkrug, der ebenso groß war wie es selbst. Auf dem Rückweg würde es nicht mehr singen.

13
    30. August
    Angel und Jacquemort saßen in der großen kühlen Halle des Hauses. Das Dienstmädchen kam und ging und bereitete Getränke zu. Sie stellte Karaffe und Gläser auf einem Tablett vor Angel hin. Fenster und Tür waren zum Garten hinaus geöffnet. Manchmal kam ein Insekt herein, sein Flügelschlag sirrte durch den hohen Raum. Alles ruhte.
    Jacquemort öffnete den Mund:
    »Die Betten sollten heut um fünf Uhr fertig sein«, sagte er.
    »Dann sind sie auch fertig«, sagte Angel. »Sicher war damit fünf Uhr morgens gemeint.«
    »Glauben Sie wirklich?«, fragte Jacquemort. »In diesem Falle werden sie allerdings fertig sein.«
    Sie schwiegen und tranken still weiter. Jacquemort hielt inne und durchbrach erneut das Schweigen.
    »Ich möchte nicht mit Ihnen über Dinge sprechen, die nichts Neues für Sie darstellen und die Sie ganz ohne Zweifel langweilen«, sagte er, »aber was ich gestern im Dorf erlebt habe, hat mich sehr betroffen gemacht. Die Leute in dieser Gegend sind ja äußerst sonderbar.«
    »Sonderbar finden Sie sie?«, fragte Angel.
    Er war höflich, aber sein Ton zeugte von einem sehr flauen Interesse. Jacquemort spürte das und schwenkte sofort um.
    »Ja«, sagte er, »sonderbar finde ich sie schon. Aber ich nehme an, ihre Mentalität wird sich mir erhellen, sobald ich sie etwas besser kennengelernt habe. Schließlich und endlich wäre ich anderswo genauso überrascht. Ich bin ja neu hier.«
    »Das stimmt zweifellos«, versicherte Angel zerstreut.
    Ein Vogel schoss pfeilschnell am Fensterrahmen vorbei. Jacquemort folgte ihm mit dem Blick.
    »Wahrscheinlich«, sagte er, »würden Sie sich wohl doch nicht gern psychoanalysieren lassen, oder?«
    »Nein«, sagte Angel, »ich würde mich sicherlich nicht analysieren lassen. Außerdem bin ich gar nicht interessant. Ich bin vielmehr interessiert. Da liegt der Unterschied.«
    »Woran denn?«, fragte Jacquemort, der sich unheimliche Mühe gab, das Gespräch in Gang zu halten.
    »An allem und nichts«, sagte Angel. »Am Leben. Ich liebe das Leben.«
    »Da haben Sie Glück«, murmelte Jacquemort.
    Mit einem Zug trank er, was noch in seinem Glas war.
    »Schmeckt

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