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Der Herzausreißer

Der Herzausreißer

Titel: Der Herzausreißer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Vian
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hing nichts, weder Bilder noch Fotos. Eine niedrige Tür führte zum Badezimmer.
    Jacquemort beendete seine Toilette und kleidete sich zum Ausgehen an. Er hatte seine psychiatrische Berufskleidung abgelegt und zog nun eine gutsitzende Hose aus weichem Leder, ein purpurfarbenes Seidenhemd und ein weites braunsamtenes und farblich zu der Hose passendes Jackett an. Er band sich die Riemen seiner purpurnen Sandalen zu und verließ das Zimmer. Er musste ins Dorf hinunter, um sich mit dem Pfarrer über die sonntägliche Zeremonie abzusprechen, und deshalb hatte er sich ganz schlicht angezogen.
    Auf dem Flur erhaschte er mit einem Blick Clémentine, die gerade in ihr Zimmer zurückkehrte. Es war das erste Mal, dass sie aufgestanden war; sie kam gerade von einem kleinen Rundgang durch den Garten zurück. Sie winkte ihm mit der Hand, bevor sie die Tür hinter sich schloss.
    Er stieg die Treppe hinunter. Angel schlief noch. Ohne auf das Frühstück zu warten, ging Jacquemort in den Garten hinaus. Die Blätter der blassroten Ariolen knirschten leise im frischen Morgenwind.
    Die Sonne war trocken wie Asbest. Wie am Tage zuvor blubberte das Wasser im Brunnen, und der gänzlich klare Himmel ließ keine Aussicht auf Regen zu. Jacquemort schlug den Weg zum Dorf ein, den die Gewohnheit schon weniger lang erscheinen ließ.
    Noch hatte er die Kirche nicht gesehen, deren Turm sich nur wenig über die Dächer der Häuser und benachbarten Bauernhöfe erhob. Um zu ihr zu gelangen, musste er lange am roten Bach entlanggehen. Er sah auf das massive Wasser, und die Haare sträubten sich ihm, wenn er an all das dachte, was da unter der gespannten Oberfläche verborgen lag.
    Der Weg machte eine Biegung, und der Bach ebenfalls. Die grauen Wehrmauern, die ihn zur Linken säumten, verwehrten Jacquemort den Blick hinter die Krümmung.
    Noch fünfzig Meter, und in weiter Ferne vor ihm tauchte die Kirche auf. Und auf dem roten Bach ein bewegungslos liegendes Boot. Die Ruder hingen zu beiden Seiten herab. Hinter dem Bug des Bootes, das sich ihm zu drei Vierteln zeigte, gewahrte er eine dunkle, von undeutlichen Bewegungen belebte Gestalt. Er ging näher heran.
    Als er auf der Höhe des Bootes war, sah er den Mann, der sich am Bootsrand festklammerte und sich abmühte, wieder an Bord zu klettern. Das Wasser des roten Baches glitt in lebhaften Perlen über seine Kleider hinweg, ohne dieselben jedoch zu benetzen. Sein Kopf erschien über dem Dollbord. Der Kahn schwankte und schlingerte unter seiner Anstrengung. Jacquemort vermochte schließlich das Gesicht des Mannes zu erkennen, der es mit einem letzten Versuch geschafft hatte, einen Arm und ein Bein über den Bootsrand zu kriegen, und sich nun erschöpft ins Innere sinken ließ. Es war ein ziemlich bejahrter Mann. Er hatte ein hohlwangiges, ausgemergeltes Gesicht und blaue, abwesende Augen. Er war glattrasiert, und sein langes weißes Haupthaar verlieh ihm ein gleichermaßen würdiges wie gutartiges Aussehen, nur seinen Mund zeichnete, wenn er ruhig dasaß, ein bitterer Zug. Im Augenblick hielt er zwischen den Zähnen einen Gegenstand, den Jacquemort nicht erkennen konnte.
    Jacquemort rief ihm etwas zu:
    »Haben Sie Schwierigkeiten?«, fragte er.
    Der Mann richtete sich auf und schaffte es, sich hinzusetzen. Was er gerade mit seinen Kiefern heraufgeholt hatte, ließ er los.
    »Was sagen Sie?«, fragte er.
    Er legte sich in die Riemen und kam mit seinem Boot ans Ufer. Nach ein paar Ruderschlägen legte er an. Bei dieser Gelegenheit konnte Jacquemort feststellen, dass das Ufer senkrecht unter dem Wasser abfiel, wie die Bruchkante eines Erdrisses.
    »Brauchen Sie Hilfe?«, fragte Jacquemort.
    Der Mann sah ihn an. Er war mit einem Sack und unförmigen Lumpen bekleidet.
    »Sind Sie fremd hier?«, fragte er.
    »Ja«, sagte Jacquemort.
    »Sonst würden Sie gewiss nicht so mit mir sprechen«, bemerkte der Mann beinah für sich.
    »Das hätte aber schlimm ausgehen können«, sagte Jacquemort.
    »Nicht in diesem Wasser«, sagte der Mann, »Es verhält sich ständig anders; manchmal trägt es Holz nicht, manchmal hingegen bleiben sogar Steine auf der Oberfläche; Leichen jedoch schwimmen immer obenauf ohne unterzugehen.«
    »Was ist eigentlich passiert?«, fragte Jacquemort. »Sind Sie aus dem Boot gefallen?«
    »Ich tat meine Arbeit«, erwiderte der Mann. »Man wirft tote Dinge in dieses Gewässer, damit ich sie wieder herausfische. Mit meinen Zähnen. Dafür werde ich bezahlt.«
    »Aber ein Netz würde doch

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