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Der Herzausreißer

Der Herzausreißer

Titel: Der Herzausreißer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Vian
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und wer auf Erden leidet, dem ist dereinst ein Plätzchen im Paradies sicher. Im übrigen sind Leid und Entbehrungen nicht nutzlos; mich stört vielmehr die Triebfeder dieses Leidens. Was mir zu schaffen macht, ist der Umstand, dass sie nicht in Gott leiden, Monsieur. Sie sind durch und durch gefühllos. Das sagte ich Ihnen schon. Die Religion ist ein geeignetes Mittel für sie. Sinnliche Rohlinge wie diese ...«
    Mit dem Reden geriet er in Fahrt, und seine Augen schossen feurige Blitze.
    »Sie kommen schon als Beherrscher in die Kirche. Und als solche sitzen sie dann leibhaftig da. Und wissen Sie, was sie von mir verlangen? Ich soll den Klee wachsen lassen. Der Frieden ihrer Seele, Monsieur, auf den pfeifen sie! Den haben sie schon! Sie haben La Gloïre! Ich werde bis zum äußersten kämpfen, aber ich werde keinen Fingerbreit nachgeben. Ich werde auch den Klee nicht wachsen lassen. Gott sei Dank habe ich treue Freunde. Nicht viele, aber sie unterstützen mich.«
    Er grinste.
    »Kommen Sie am Sonntag und Sie werden schon sehen ... Sie werden draufkommen, wie man durch die Materie hinter die Materie kommt. Ich werde diesen Viechern den Spiegel vorhalten ... Ihre Trägheit wird mit einer noch viel größeren Zusammenstößen ... Und aus diesem Zusammenprall wird jene Unruhe entstehen, die sie wieder in den Schoß der Religion zurückführen wird ... zum Luxus! ... Zu jenem Luxus, zu dem der Herrgott in seiner Langmut ihnen den Zugang offengehalten hat.«
    »Also«, sagte Jacquemort, »wie steht es nun mit dieser Taufe? Bleibt es bei Sonntagnachmittag?«
    »Ich werde Ihnen den genauen Zeitpunkt nach der Messe sagen«, wiederholte der Pfarrer.
    »Gut«, sagte Jacquemort. »Auf Wiedersehen, Herr Pfarrer. Ich habe vorhin Ihre Kirche bewundert. Eine wirklich sonderbare Konstruktion.«
    »Sonderbar«, stimmte der Pfarrer etwas geistesabwesend bei.
    Er setzte sich wieder hin, während Jacquemort dort hinausging, wo er hereingekommen war. Er fühlte eine leichte Ermattung.
    »Clémentine fällt mir mit ihren Frondiensten auf die Nerven«, dachte er laut. »Ich bin froh, wenn die Drei erst groß sind. Und dann auch noch der Zwang, in die Messe gehen zu müssen ...«
    Der Abend kam.
    »Diesen Streich mit dem Zwang zur Messe finde ich wirklich ein starkes Stück.«
    »Ein starkes Stück«, pflichtete eine große schwarze Katze bei, die auf einer Mauer saß.
    Jacquemort sah sie an. Die Katze fing an zu schnurren, und ihre gelben Augen spalteten sich in zwei dünne senkrechte Schlitze.
    »Ein starkes Stück!«, schloss Jacquemort, indem er einen der rundlichen, zylindrischen und schwammigen Grasstängel pflückte.
    Etwas weiter weg drehte er sich um. Er sah zur Katze zurück, zögerte einen Augenblick, dann setzte er seinen Weg wieder fort.

17
    Sonntag, 2. September
    Bereit zum Ausgehen, vertrieb sich Jacquemort die Zeit im Hausflur. Er hatte wieder seine seriöse Kleidung angelegt und fühlte sich verlegen wie ein Schauspieler im Kostüm auf einer leeren Bühne. Endlich kam das Kindermädchen.
    »Sie brauchen aber lange«, sagte Jacquemort.
    »Weil ich mich noch schöngemacht habe«, erklärte sie.
    Sie hatte ein Sonntagskleid aus naturreinem weißen Pikee an, dazu trug sie schwarze Schuhe, einen schwarzen Hut und Handschuhe aus weißer Flockseide. In der Hand hielt sie ein abgegriffenes ledergebundenes Messbuch. Ihr Gesicht glänzte, und ihre Lippen waren schlecht geschminkt. Ihre großen Brüste weiteten das Mieder, und die kräftigen Rundungen ihrer Hüften füllten gewissenhaft den Rest ihres Kleides aus.
    »Gehen wir«, sagte Jacquemort.
    Sie brachen auf. Sie schien sehr eingeschüchtert und versuchte vor lauter Unterwürfigkeit, beim Atemholen kein Geräusch zu machen.
    »Nun«, fragte Jacquemort hundert Meter weiter, »wann darf ich Sie psychoanalysieren?«
    Sie errötete und blickte ihn von unten an. Sie kamen gerade an einer sehr dichten Hecke vorüber.
    »Könnte man das nicht jetzt gleich machen, vielleicht noch vor der Messe ...«, sagte sie voller Hoffnung.
    Der Psychiater fühlte, wie sein Bart erbebte, indem er begriff, was sie begriffen hatte, und er lenkte sie mit sicherer Hand zum Wegrand. Sie verschwanden hinter der Hecke durch einen schmalen Durchschlupf, der mit Dornen bewehrt war, an welchen Jacquemort sich seinen schönen Anzug zerriss.
    Nun waren sie an einem vor Einblicken gut geschützten Ort. Vorsichtig nahm das Dienstmädchen seinen schwarzen Hut ab.
    »Den darf ich mir ja nicht zerknittern«, sagte

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