Der Herzausreißer
hatte. Der Mann lächelte ihm boshaft zu.
»Hast du gesehen?«, sagte er. »Hier glaubt man an Gott. Und der Pfarrer wird uns auch nicht daran hindern können. Er weiß nur nicht, wozu Gott da ist.«
Er zuckte mit den Achseln.
»Pah!«, schloss er, »soll er nur machen. Das tut uns nichts. Das ist Zerstreuung. Wir hier gehen gern zur Messe. Mit oder ohne Pfarrer. Meine Klapptürchen haben jedenfalls gehalten.«
Er ging vorüber. Jacquemort wusste nicht, wo das Kindermädchen abgeblieben war, und beschloss, sich nicht mehr darum zu kümmern. Der Menschenstrom wurde schwächer, so dass er sich schließlich bis zur Tür der Sakristei durchschlagen konnte. Er trat ein und drang ohne zu klopfen in den hinteren Raum vor.
Der Pfarrer schritt humpelnd auf und ab, glückstrahlend unter den Huldigungen, die ihm der Küster überschwänglich darbrachte; dieser kleine rotgesichtige Mann war dermaßen unauffällig, dass Jacquemort sich nur unter Anstrengung daran erinnern konnte, ihn bei seinem letzten Besuch gesehen zu haben.
»Sie waren großartig!«, sagte der Küster. »Sie waren vollendet! Was für eine Darstellung! Das ist Ihre Glanzrolle!«
»Ah!«, sagte der Pfarrer. »Denen hab ich’s heute wieder gegeben!«
Er hatte eine riesige Beule auf der Stirn.
»Sie waren wirklich sensationell!«, sagte der Küster. »Was für einen großen Atem! Was für eine Inspiration! Und welch großmeisterliche Beherrschung der Periode! Meiner Treu, ich verneige mich jetzt und werde mich immer verneigen.«
»Trotzdem ...«, sagte der Pfarrer, »du übertreibst ein bisschen ... Ich war gut. Aber war ich wirklich sooo gut?«
»Erlauben Sie«, sagte Jacquemort, »dass ich mich mit meinen Komplimenten denen von Monsieur anschließe?«
»Ah! ...«, seufzte der Küster. »Was für ein Talent! ... Sie waren einfach ... sublim!«
»Hört mal«, sagte der Pfarrer. »Jetzt schmeichelt ihr mir aber.«
Er räusperte sich und lächelte Jacquemort liebenswürdig an.
»Nehmen Sie doch bitte Platz, Monsieur.«
Jacquemort griff sich einen Stuhl.
»Ah! ...« hechelte der Küster. »Als Sie zu den Leuten sagten ›Das ist eine Kirche und keine Gießkanne! ...‹ wäre ich fast ohnmächtig geworden. Ehrlich. Was für ein Talent, mein Pfarrer, welch überragendes Talent! Und ›Gott mag keinen Klee‹. Welch hohe Kunst!«
»Und dabei stimmt’s auch noch!« setzte der Pfarrer nach. »Aber lassen Sie uns keine Zeit verlieren, Monsieur!«
»Ich bin wegen der Taufe gekommen«, erklärte der Psychiater.
»Ich erinnere mich, ich weiß schon«, sagte der Pfarrer eilfertig. »Kommen Sie ... das werden wir bald haben. Seien Sie bitte alle um vier hier. Ich werde zwanzig vor vier die Glocken läuten. Also bis dann. Geht alles in Ordnung.«
»Ich danke Ihnen, Herr Pfarrer«, sagte Jacquemort und stand auf. »Und nochmals mein Kompliment. Sie waren geradezu ... episch.«
»Ah!«, rief der Küster. »Episch! Das ist der passende Ausdruck. Episch. Ach, mein Pfarrer!«
Etwas erstaunt streckte der Pfarrer Jacquemort die Hand hin und schüttelte kräftig die ihm dargebotene.
»Ich bin untröstlich, dass Sie schon so bald wieder wegfahren«, sagte er. »Ich hätte Sie gerne zum Mittagessen bei mir behalten ... aber ich fürchte, ich raube Ihnen Ihre kostbare Zeit ...«
»Ich habe es ziemlich eilig«, sagte Jacquemort. »Ein andermal. Danke! Und nochmals bravo!«
Er ging mit großen Schritten davon. Das Kirchenschiff lag nun dunkel und schweigend da. Es hatte beinahe zu regnen aufgehört. Draußen kam die Sonne schon wieder hervor. Ein warmer Dunst stieg vom Boden auf.
18
»Das wird wieder mal für eine Weile reichen«, dachte Jacquemort. »Zweimal am selben Tag in der Kirche! Da werde ich die nächsten zehn Jahre wahrscheinlich keinen Fuß mehr hineinsetzen. Oder wenigstens die nächsten neuneinhalb.«
Er saß in der Halle und wartete. Die zahlreichen Tritte des Dienstmädchens, Angels und Clémentines widerhallten im ersten Stock, gedämpft durch die dicke Decke und die Sandsteinplatten. Von Zeit zu Zeit bohrte sich der spitze Schrei eines der zwei Bälger mühelos durch das alles und schlängelte sich in Jacquemorts Gehörgänge. Noël oder Joël. Citroën schrie niemals.
Culblanc hatte ein Taufgewand aus rosa Taft mit großen lila Bändern an, dazu trug sie schwarze Schuhe und einen schwarzen Hut. Sie wagte kaum, sich zu rühren. Sie fasste alles mit den Fingerspitzen an. Drei Vasen hatte sie schon zerschlagen.
Angel trug seine gewohnte
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