Der Herzausreißer
sie brauchen mich nicht mehr«, sagte sie sich nicht ohne Bitterkeit. »Womöglich können sie gar schon Wasserhähne allein aufdrehen.«
Nicht weiter schlimm. Das ließ sich alles wettmachen. Sie würde ihnen so viel Liebe geben. Sie würde ihnen dermaßen viel Liebe geben, dass das ganze Leben dieser Kinder, gehäkelt wie es war aus lauter Zuneigung und Fürsorge, ohne ihre Gegenwart den Sinn verlöre.
Gerade als sie ihren Blick zum Fenster schweifen ließ, sah sie dichte Rauchschwaden dort unten beim Werkschuppen aufsteigen. Es war die Stapellauframpe für das Boot, die brannte.
Sie ging hinaus, um nachzusehen; hinter ihr brabbelten die drei Kleinen. Sie ahnte bereits, was der Brand zu bedeuten hatte, sie brauchte keine Bestätigung. Ihr letztes Hindernis war nun aus dem Weg geräumt.
Der Schuppen krachte und prasselte. Verkohlte Holzstücke fielen vom Dach. Unbewegt betrachtete Jacquemort, vor der Tür stehend, die Glut. Clémentine legte ihm die Hand auf die Schulter. Er fuhr zusammen, sagte aber nichts.
»Angel ist fort?«, fragte Clémentine.
Er nickte mit dem Kopf.
»Sobald alles niedergebrannt ist«, sagte Clémentine, »werden Sie mit dem Dienstmädchen zusammen die Trümmer wegräumen. Das wird einen herrlichen Spielplatz für die Kleinen abgeben. Ich werde ihnen ein Turn- und Klettergerüst bauen lassen. Das heißt, Sie werden es ihnen bauen. Die lieben Kleinen werden sich königlich amüsieren.«
Er war sichtlich erstaunt und sah, dass Widerrede zwecklos war.
»Sie können das«, versicherte sie. »Mein Mann hätte es auch gut hingekriegt. Er war sehr geschickt. Ich hoffe, die Kleinen schlagen ihrem Vater nach.«
Dritter Teil
1
55. Janupril
»Jetzt sind es schon vier Jahre und etliche Tage, dass ich hier bin«, sagte sich Jacquemort.
Sein Bart war länger geworden.
2
59. Janupril
Ein feiner, unangenehmer Nieselregen stäubte nieder, man musste husten. Der Garten zerfloss klebrig. Das Meer war kaum zu sehen, es war aus demselben Grau wie der Himmel, und in der Bucht beugte sich der Regen der Willkür des Windes und schraffierte die Luft mit schrägen Strichen.
Wenn es regnet, kann man gar nichts unternehmen. Dann spielt man eben in seinem Zimmer. Noël, Joël und Citroën spielten in ihrem Zimmer. Sie spielten Sabbern. Citroën zottelte auf allen Vieren den Teppichrand entlang und machte bei jedem roten Fleck halt. Er beugte den Kopf und ließ den Speichel tropfen. Noël und Joël folgten ihm und versuchten, an denselben Stellen zu sabbern. Ein erlesenes Vergnügen, fürwahr.
Nichtsdestoweniger regnete es. Clémentine stand in der Küche und rührte einen Milchbrei an. Sie hatte zugenommen. Sie schminkte sich nicht mehr. Sie kümmerte sich um ihre Kinder. Als sie in der Küche fertig war, ging sie nach oben, um ihre Überwachung wieder aufzunehmen. Gerade als sie ins Zimmer trat, schimpfte Culblanc mit den Kleinen.
»Ihr seid widerlich. Richtige kleine Schweinigel seid ihr.«
»Es regnet draußen«, bemerkte Citroën, dem gerade ein schöner langer Speichelfaden gelungen war.
»Es regnet draußen«, wiederholte Joël.
»Es regnet«, sagte Noël bündiger.
Allerdings musste er sich dabei ziemlich anstrengen.
»Und wer soll eure Schweinereien wegputzen?«
»Du«, sagte Citroën.
Clémentine kam herein. Sie hatte die letzten Worte gehört.
»Selbstverständlich Sie«, sagte sie. »Dafür sind Sie ja da. Die armen kleinen Kerle haben doch wohl noch das Recht, sich zu vergnügen. Finden Sie, dass das Wetter so gut ist?«
»Das ist gegen jeden gesunden Menschenverstand«, sagte Culblanc.
»Jetzt reicht's aber«, sagte Clémentine. »Sie können wieder an Ihre Bügelei gehen. Ich kümmere mich um die Kleinen.«
Das Dienstmädchen ging hinaus.
»Sabbert, meine Schätzchen«, sagte Clémentine. »Wenn's euch Spaß macht, sabbert ruhig weiter.«
»Wir haben aber keine Lust mehr«, sagte Citroën.
Er stand auf.
»Kommt«, sagte er zu seinen Brüdern, »wir spielen Zug.«
»Krieg ich denn kein Küsschen?«, sagte Clémentine.
»Nein«, sagte Citroën.
»Nein«, sagte Joël.
Noël sagte nichts. Noch kürzer ging’s nicht.
»Habt ihr eure Mami denn nicht mehr lieb?«, fragte Clémentine und kniete sich hin.
»Doch«, sagte Citroën. »Aber wir spielen jetzt Zug. Du musst in den Zug einsteigen.«
»Also gut! Dann steig ich eben ein«, sagte Clémentine. »Hoppla! Alles einsteigen!«
»Schrei«, sagte Citroën. »Du bist die Pfeife! Ich bin der Zugführer.«
»Ich auch«,
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