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Der Herzausreißer

Der Herzausreißer

Titel: Der Herzausreißer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Vian
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war, wie er aussah. Fast. Sand knirschte unter seinen Zähnen. In einer Vertiefung des Kiesels klebte eine ebenfalls gelbe, kleine Schnecke. Er sah genau hin.
    »Diese hier«, sagte Citroën, »ist nicht gut. Du kannst sie zwar essen, aber es ist keine von den guten. Die blauen sind es, die einen fliegen lassen.«
    »Gibt es auch blaue?«, fragte Noël.
    »Ja«, sagte Citroën.
    Noël kostete die gelbe. Sehr gesund. Jedenfalls besser als die Erde. Weich. Und klebrig. Kurz gesagt, schmackhaft.
    Indessen hatte Joël seinerseits seinen Spaten unter einen schweren Stein gezwängt. Und wie schwer der war! Zwei schwarze Schnecken darunter.
    Eine hielt er Citroën hin, der sie interessiert betrachtete, aber dann wieder an Joël zurückreichte. Unterdessen kostete Joël die seine.
    »Nicht aufregend«, sagte er. »Schmeckt wie Tapioca, würde ich sagen.«
    »Ja«, sagte Citroën, »aber die blauen sind gut. Schmecken wie Ananas.«
    »Wirklich?«, fragte Joël.
    »Und danach kann man fliegen«, sagte Noël.
    »Man fliegt aber nicht gleich«, sagte Citroën. »Vorher muß man arbeiten.«
    »Man könnte ja vielleicht gleich arbeiten«, sagte Noël. »Wenn man dann eine blaue findet, könnte man immerhin sofort losfliegen.«
    »Oh«, sagte Joël, der in der Zwischenzeit gegraben hatte, »ich habe ein ganz schönes, neues Samenkorn gefunden.«
    »Zeig her«, sagte Citroën.
    Es war ein Samenkorn beinahe von der Größe einer Nuss.
    »Man muß fünfmal draufspucken«, sagte Citroën, »dann wächst es.«
    »Bist du sicher?«, fragte Joël.
    »Ganz sicher«, sagte Citroën. »Aber man muß es dabei auf ein frisches Blatt legen. Geh eines holen, Joël.«
    Aus dem Samenkorn wuchs ein winziger Baum mit rosaroten Blättern. In dem zierlichen Geäst aus Silberdraht flatterten Singvögel. Der größte war gerade so groß wie der Nagel von Joëls kleinem Finger.

11
    347. Julember
    »Schon sechs Jahre, drei Tage und zwei Stunden ist es her, dass ich mich hier in diesem vermaledeiten Dorf vergraben habe«, sagte sich Jacquemort, während er sein Abbild im Spiegel betrachtete. Sein Bart hielt sich jetzt in einer mittleren Länge.

12
    348. Julember
    Jacquemort wollte gerade ausgehen, als er Clémentine im Flur begegnete. Er sah sie kaum mehr. Seit Monaten. Die Tage verrannen so stetig und verstohlen, dass er nicht mehr wusste, wie viele es waren. Sie hielt ihn an.
    »Wohin gehen Sie in diesem Aufzug?«
    »Wie gewöhnlich«, antwortete Jacquemort, »gehe ich meinen alten Freund La Gloïre besuchen.«
    »Psychoanalysieren Sie ihn immer noch?«, fragte Clémentine.
    »Hm ... ja«, sagte Jacquemort.
    »Das dauert aber lange.«
    »Das muß gründlich gemacht werden.«
    »Ihr Kopf wird größer«, bemerkte Clémentine.
    Er wich etwas zurück, da sie ihn aus nächster Nähe ansprach, und er aus ihrem Atem einen unbeschreiblich aasigen Gestank herausroch.
    »Das kann schon sein«, sagte Jacquemort, »er wird mir aber mit der Zeit so transparent, dass ich mir schon langsam Sorgen mache.«
    »Nun, es hat wirklich nicht den Anschein, dass Sie sehr glücklich dabei sind«, sagte Clémentine. »Sie hatten ja ziemlich lange nach jemand Geeignetem gesucht.«
    »Alle meine Analysanden haben mich im Stich gelassen, einer nach dem ändern«, sagte Jacquemort. »Ich habe auf La Gloïre zurückgreifen müssen, weil er als einziger übrigblieb. Aber ich kann Ihnen sagen, dass sein mentaler Inhalt nicht sonderlich dazu angetan ist, seinen Empfänger zu erheitern.«
    »Sind Sie schon weit?«, fragte Clémentine.
    »Wie meinen Sie?«
    »Ist Ihre Psychoanalyse schon weit gediehen?«
    »Mein Gott, es geht«, sagte Jacquemort. »Eigentlich sehe ich dem Augenblick, wo ich mit der Sondierung der untersten Schichten beginne, mit ziemlicher Beunruhigung entgegen. Aber das ist ja alles nicht so wichtig. Und Sie, wie geht’s denn Ihnen so die ganze Zeit? Man sieht Sie nicht mehr bei den Mahlzeiten. Weder mittags noch abends.«
    »Ich esse in meinem Zimmer«, sagte Clémentine mit Befriedigung in der Stimme.
    »Ach so!«, sagte Jacquemort.
    Er musterte die Figur der jungen Frau.
    »Es klappt offensichtlich trotzdem ganz gut«, sagte er schlicht.
    »Ich esse nicht mehr als ich muß«, sagte Clémentine.
    »Und die allgemeine Verfassung ist gut?«, fragte er plump.
    »Das kann ich leider nicht sagen. Ja und nein.«
    »Was fehlt Ihnen denn?«
    »Wenn ich ehrlich sein soll«, erklärte sie, »ich habe Angst.«
    »Angst wovor?«
    »Ich habe Angst um meine Kinder.

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