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Der Herzausreißer

Der Herzausreißer

Titel: Der Herzausreißer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Vian
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ich schäme mich ein bisschen; weil ich mich auch mitgeprügelt habe; und da ich sowieso bei Ihnen vorbeischauen wollte, habe ich gleich etwas Bargeld mitgebracht ...«
    Er hielt ihm eine Rolle Goldmünzen hin.
    »Natürlich ...«, murmelte La Gloïre bitter. »Das haben Sie sich ja schnell angewöhnt. Aber bringen Sie Ihre Kleider wieder ein wenig in Ordnung. Sie brauchen nicht zu verzagen. Ich nehme Ihnen Ihr Schamgefühl schon ab.«
    »Vielen Dank«, sagte Jacquemort. »Und wie wär’s, wenn wir jetzt unsere Sitzung wieder aufnähmen?«
    La Gloïre ließ die Rolle Goldmünzen in eine Salatschüssel aus vergoldetem Silber fallen und legte sich ohne ein Wort zu sagen auf das niedrige Bett, das im hinteren Teil des großen Zimmers stand. Jacquemort setzte sich neben ihn.
    »Erzählen Sie«, sagte er. »Entspannen Sie sich und reden Sie. Wir waren letzthin bis zu Ihrer Geschichte in der Schule gekommen, wo Sie diesen Ball gestohlen hatten.«
    La Gloïre legte sich die Hand über die Augen und fing zu sprechen an. Jacquemort jedoch hörte nicht sogleich hin. Er war verblüfft. Im selben Augenblick, da der Alte sich die Hand auf die Stirn gelegt hatte, war es ihm — aber vielleicht war es auch eine Täuschung —, als ob er durch die Handfläche hindurch den fiebrigen und unruhigen Blick seines Patienten gesehen hätte.

9
    136. Aprigust
    An Tagen, an denen Jacquemort sich intellektuell fühlte, zog er sich in Angels Bibliothek zurück und las. Es gab dort nur ein einziges Buch, was auch völlig ausreichte, ein vorzügliches enzyklopädisches Wörterbuch, in dem Jacquemort alphabetisch, wenn auch nicht logisch geordnet und nach Sachgruppen klassifiziert, die wesentlichen Elemente all dessen vorfand, aus dem sich gewöhnliche Bibliotheken zusammensetzen; hier allerdings in einem einzigen leider so unhandlichen Band versammelt.
    Gewöhnlich verweilte er bei der Seite der Flaggen, die farbig war, und wo der Text, weil entschieden aufgelockerter als auf den anderen Seiten, dem Geist Entspannung und Erholung gönnte. Die elfte Flagge von links, ein blutiger Zahn auf schwarzem Grund, ließ ihn an jenem Tag an die kleinen wilden Hyazinthen denken, die man in den Wäldern findet.

10
    1. Julember
    Die drei Kinder spielten im Garten, knapp außer Sichtweite des Hauses. Sie hatten sich ihr eigenes Plätzchen ausgesucht: dort gab es Steine, Erde, Gras und Sand in zweckdienlichen Proportionen. Auch Sonne gab es da und Schatten, Trockenes und Feuchtes, Hartes und Weiches, Mineralisches und Pflanzliches, Lebendes und Totes.
    Sie sprachen wenig. Mit einem eisernen Spaten hoben sie, ein jeder für sich, eine viereckige Grube aus. Von Zeit zu Zeit stieß der Spaten auf einen interessanten Gegenstand, den sein Besitzer so gleich heraushob, um ihn zum Haufen der vorangegangenen Funde zu legen.
    Nach hundert Spatenstichen hielt Citroën inne.
    »Stop!«, sagte er.
    Joël und Noël gehorchten.
    »Ich habe einen Grünen«, sagte Citroën.
    Er zeigte ihnen einen kleinen schimmernden Gegenstand, der aussah wie ein Smaragd.
    »Hier ist der Schwarze«, sagte Joël.
    »Und hier der Goldene«, sagte Noël.
    Sie legten die drei Gegenstände in Form eines Dreiecks auf dem Boden aus. Sorgfältig verband sie Citroën mit dürren Reisern. Und dann setzten sie sich ein jeder an eine Spitze des Dreiecks und warteten.
    Plötzlich brach inmitten der drei Gegenstände das Erdreich auf. Eine winzige weiße Hand erschien, eine zweite folgte. Die Hände klammerten sich an die Ränder der Öffnung und eine klar durchscheinende Silhouette von zehn Zentimetern Höhe tauchte in dem Dreieck auf. Ein kleines Mädchen mit langen blonden Haaren. Es warf den drei Kindern Kusshändchen zu und begann zu tanzen. Es tanzte einige Minuten lang, ohne jemals aus dem Dreieck herauszutreten. Und dann blieb es plötzlich stehen, blickte zum Himmel und versank ebenso schnell im Erdboden, wie es aufgetaucht war. Anstelle der drei farbigen Steine blieben nur drei gewöhnliche Kieselsteine zurück.
    Citroën stand auf und zerstreute die Reiser.
    »Ich habe genug davon«, sagte er. »Ein anderes Spiel.«
    Schon hatten sich Joël und Noël wieder ans Graben gemacht.
    »Ich bin sicher, dass wir noch andere Sachen finden«, sagte Noël. In diesem Augenblick stieß sein Spaten auf etwas Hartes.
    »Ein riesiger Kieselstein«, sagte er.
    »Lass sehen!«, sagte Citroën.
    Ein schöner gelber Kieselstein mit schimmernden Äderungen. Er leckte daran, um herauszufinden, ob er auch so gut

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