Der heulende Müller
ruhen. Sie dachte, wenn sie jetzt mit dem Müller intim zusammen wäre, würde garantiert ein Kind ent stehen. Gleich beim ersten Mal würde sie ein Kind be kommen. Sie hatte jetzt nicht ihre sichere Zeit. Gab es die überhaupt für eine Frau? Dieser große Mann brauchte sie bestimmt bloß einmal anzufassen, und schon wäre es passiert, sie bekäme ein Kind. Einen Jungen. Sie mochte nicht einmal daran denken. Zuerst würde ihr Bauch wachsen, so daß sie schon im Herbst Schwierigkeiten hätte, mit dem Fahrrad zu fahren. Der Landwirtschaftsklubverband würde in diesem Fall kei nen Urlaub gewähren. Zum Glück war ihr Vater im Winterkrieg gefallen, er würde die Schande nicht ertra gen.
Sie malte sich aus, was für ein Kind sie dem Müller gebären würde: Es wäre ein großes Baby, mit dickem Haar und langer Nase. Es wäre schon bei der Geburt mindestens einen Meter groß. Sie würde nicht wagen, ihm die Brust zu geben, diesem aberwitzigen Balg, ge zeugt von einem verrückten Mann. Es würde nicht lallen wie die anständigen Babys, sondern bald anfangen zu heulen wie sein Vater. Oder wenigstens greinen. Ge wöhnliche Kindersachen würden ihm nicht passen, man müßte ihm bereits in der Wiege Klappunterhosen nähen. Schon mit fünf Jahren würde dem Jungen ein Bart wachsen, und in der Schule würde er bei der Morgenan dacht heulen. Im Tierkundeunterricht würde er alle möglichen Viecher nachahmen, so daß Lehrer Tanhu mäki ihn mitten in der Stunde hinauswerfen müßte. Sie könnte nie mehr zur Lehrersfrau zum Kaffee gehen. Den Rest des Tages würde Huttunens Sohn im Dorf sein Unwesen treiben und die Wahlplakate von den Wänden reißen. Was er dann abends noch zusammen mit seinem Vater anstellen würde… huch, schrecklich.
»Nein. Ich werde jetzt gehen. Ich hätte überhaupt nicht herkommen sollen. Womöglich hat mich jemand gesehen.«
Huttunen legte ihr seine Hand auf die Schulter. Sie blieb. Dieser Mann hatte etwas so Ruhiges und Verläßli ches an sich, daß sie einfach nicht loskam von ihm. Sie hatte keine Lust zu gehen. Sie wollte in diesem kühlen und weißen Lakenraum am liebsten den ganzen Tag und auch noch die Nacht zubringen. Sie mußte daran den-ken, daß Irre sie gewöhnlich abstießen, doch dieser nicht. Der Müller hatte auf sie eine anziehende Wirkung, die sie nicht mit dem Verstand erklären konnte.
»Ich fände es schrecklich, wenn sie dich abholen und nach Oulu bringen würden.«
»Na, so verrückt bin ich nun wieder nicht.« Die Klubberaterin schwieg. Ihrer Meinung nach war
Gunnar Huttunen allerdings so verrückt, daß es für Oulu reichte. Sie hatte mehr als genug vom irren Kun nari reden hören. Wenn sie doch irgendwo ganz allein mit ihm leben könnte, ohne daß ein Außenseiter sie je sähe! Sie selbst fand Gunnar Huttunens Verrücktheit gerade richtig, sogar lustig, und konnte ihn nicht dafür tadeln. Was kann der Mensch für seinen eigenen Kopf! Die Dorfleute begriffen das nicht.
Sanelma Käyrämö stellte sich jetzt vor, wie sie heira teten. Gunnar würde sie in die Kirche führen, sie wür den in der alten Kirche des Sprengels getraut, die neue war dafür zu groß und zu unfreundlich. Michaeli wäre das geeignete Datum. Bis Johanni würden die Kleider nicht mehr fertig. Gunnar müßte sich einen dunklen Anzug machen lassen, einen, den er später gelegentlich bei Beerdigungen tragen konnte. Die Hochzeit also zu Michaeli. Das Kind würde passend im nächsten Früh jahr geboren werden. Frühjahrsbabys sind herrlich, für sie gibt es im Sommer Gemüsesaft als gesunde Ergän zung zur Milch. Jetzt sah die Beraterin ihr Baby als kleines, allerliebst errötendes Mädchen.
Zu dritt würden sie in der roten Mühlenstube woh nen. Abends würde das Baby vom friedlichen Gemurmel des Baches einschlafen. Es würde niemals plärren. Auch Gunnar würde es wickeln und betreuen. Die Wiege, von ihm gebaut, würden sie mit Emaillefarbe hellblau an
streichen. Sie würde von ihrer Einrichtung in Siponens Dachkammer die Gardinen und mindestens noch die gemaserte Birkenholzkommode mitbringen. In die Stube kämen eine Blumenlampe und darunter Korbsessel für vier Personen. Oder wenigstens für zwei. Das Radio müßte ins Fenster gestellt werden, damit es von drau ßen zu sehen wäre. In die Schlafkammer müßten unbe dingt ein Doppelbett sowie für jede Seite ein Nachttisch. Einer davon mit Spiegel. Jede Woche würde sie als junge Hausfrau die Fußböden wischen und die
Weitere Kostenlose Bücher