Der heulende Müller
te. Im Radio hatten sie schönes Wetter bis zum Abend versprochen, in Fennoskandia herrschte glücklicherwei se Hochdruck.
Huttunen nahm seine Malerarbeiten wieder auf. Wenn er die ganze Nacht durcharbeitete, stünde mor-gens in Suukoski eine rote Mühle. Ein gleichnamiges Kabarett wurde, wie man hörte, von Frauen aus Helsinki überall im Land aufgeführt. Sie waren auch bis nach Kemi und Rovaniemi gekommen. Die Frauen hatten so kurze Röcke getragen, daß man darunter die Schlüpfer und Strumpfbänder sehen konnte.
In der hellen und kühlen Sommernacht arbeitete es sich angenehm. Wenn auch seine Hand ermüdete, wur de Huttunen dennoch nicht schläfrig, denn seine Ge danken kreisten um zwei gute Dinge: den schönen neuen Anstrich der Mühle und das bevorstehende Tref-fen mit der Beraterin auf der Insel. Huttunen arbeitete eifrig die ganze Nacht hindurch. Als die Sonne am Sonn tagmorgen aufging und die nordöstliche Mühlenwand beleuchtete, war alles fertig. Der Müller trug die Leiter und die paar übriggebliebenen Eimer Farbe in den Schuppen. Er badete im Fluß und umrundete dann zweimal die Mühle, um ihre Schönheit zu bewundern. Sie leuchtete buchstäblich!
Frohgestimmt ging Huttunen in seine Stube, um ein Stück Wurst zu essen und einen Becher Buttermilch zu trinken. Dann wanderte er zur Erleninsel. Es war früher Morgen, und der müde Müller schlief auf der Blätter streu des kühlen Zeltes ein, auf dem Gesicht ein glückli ches, erwartungsvolles Lächeln.
9
Huttunen erwachte davon, daß der Lakenvorhang des Zeltes wehte. Draußen rief eine scheue Frauenstimme:
»Gunnar… Ich bin schon da.«
Der schläfrige Huttunen steckte seinen Kopf aus dem Zelt. Er zog die widerstrebende Klubberaterin in den weißen, duftenden Raum. Sie war fieberhaft erregt und redete alles mögliche auf einmal: Sie hätte besser nicht kommen sollen, sie beide dürften sich nicht auf diese Weise treffen, die Bäuerin Siponen liege immer noch im Bett und beabsichtige, niemals mehr aufzustehen… wie spät es eigentlich sei und was doch für schönes Wetter herrsche.
Huttunen und Sanelma Käyrämö saßen auf dem Heulager, sahen einander in die Augen und hielten sich an den Händen. Huttunen hätte sie gern umarmt, aber als er es versuchte, scheute sie zurück.
»Deswegen bin ich nicht hergekommen.« Huttunen begnügte sich damit, ihr Knie zu streicheln.
Sie dachte, daß sie sich nun mit einem geistesgestörten Mann allein auf einer einsamen Insel mitten im Wald befand. Wie hatte sie bloß dieses Risiko eingehen kön nen? Gunnar Huttunen könnte ungehindert mit ihr machen, was er wollte. Er könnte sie erwürgen, verge waltigen… Wo würde er ihre Leiche verstecken? Er würde ihr vermutlich Steine an die Füße binden und sie im Bach versenken. Nur die Haare würden in der Strö mung treiben, zum Glück hatte sie keine Dauerwelle. Oder vielleicht würde er sie zerstückeln und die Teile anschließend vergraben? Sie stellte sich die Schnitte an ihrem Hals, der Taille und den Schenkeln vor. Sie er schauerte, allerdings nicht so stark, daß sie ihre Hände aus denen des Müllers gelöst hätte.
Huttunen sah ihr gerührt in die Augen. »Ich habe letzte Woche die Mühle angemalt. Sie ist
jetzt rot. Der Wachtmeister war gestern da und hat gesagt, sie sieht schön aus.«
Die Beraterin erbebte. In welcher Angelegenheit war der Polizist gekommen? Huttunen erzählte von Viitta vaaras Korn und daß er es bereits bezahlt habe.
»Der Kommissar hat für ausgekeimtes Korn den Preis von Brotgetreide berechnet. Zum Glück waren es nur fünf Säcke.«
Die Beraterin redete nun eifrig auf Huttunen ein, er solle unbedingt in Doktor Ervinens Sprechstunde gehen. Ob er denn nicht verstehe, daß er krank sei?
»Lieber Gunnar, dein seelisches Gleichgewicht steht auf dem Spiel. Ich flehe dich an, mit Ervinen zu spre chen.«
»Ervinen ist bloß Gemeindearzt. Was versteht der schon von Geisteskrankheiten, der ist selber verrückt«, versuchte Huttunen zu protestieren.
»Du solltest hingehen und nach Medikamenten fra-gen, wenn du dich nicht manierlich benehmen kannst. Heutzutage gibt es Beruhigungspillen, die schreibt dir der Doktor bestimmt auf. Falls du kein Geld hast, kann ich dir welches leihen.«
»Es ist peinlich, zum Arzt zu gehen und über sich sel ber zu reden«, sagte Huttunen tonlos und entzog ihr seine Hand. Sie sah ihn zärtlich an, streichelte sein Haar und ließ ihre Hand auf seiner hohen und heißen Stirn
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