Der Hexenschwur: Roman (German Edition)
vergessen wird. Deshalb muss man die Wünsche laut hinausschreien«, sagte er, breitete die Arme aus und rief in Richtung Küchendecke: »Ich wünsche mir ein Ritterschwert und Honigfrüchte!«
Benjamin zuckte zusammen und starrte weiter auf den Tisch. Magdalena, die das Frühstücksgeschirr abwusch, hielt in der Bewegung inne und schaute mit erschrockenem Blick zu ihrer Mutter, die Clemens’ Sohn Georg ungläubig anstarrte.
»Du bist ein unverschämtes Balg!«, beschimpfte sie den Jungen. »Weißt du nicht, dass Krieg herrscht und viele Menschen Hunger leiden? Andere haben nicht einmal ein Dach über dem Kopf, geschweige denn ein Bett, in das sie sich legen können. Du aber schreist nach Spielzeug und Süßigkeiten?«, tadelte sie den Burschen, während sie mit dem Kochlöffel so fest auf den Tisch schlug, dass er zerbrach.
In diesem Augenblick betrat Christel die Küche und blieb erschrocken in der Tür stehen. Fassungslos schaute sie Franziska an, deren Gesicht voller Zornesfalten war.
»Was ist hier los?«, wandte sich Christel an ihren Sohn und blickte zwischen den Kindern hin und her. Magdalena und Benjamin wagten nichts zu sagen, und auch Georg schwieg eingeschüchtert.
Franziska hob den abgebrochenen Teil des Kochlöffels auf und erklärte gereizt: »Ich habe deinem Sohn verständlich gemacht, dass er ein unverschämtes Bürschchen ist.«
»Warum?«, fragte Christel, die Mühe hatte, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. Sie ging zum Küchentisch und stellte sich neben Georg, der sie scheu ansah. Liebevoll strich Christel ihm durchs Haar und drückte ihm einen Kuss auf den Scheitel, woraufhin sich Franziskas Augen verengten und sie keifte:
»Kein Wunder, dass er unersättlich ist, denn du unterstützt sein Verhalten.«
Christel hielt sich den Bauch, da das ungeborene Kind sich heftig bewegte. »Sage du mir nicht, wie ich meinen Sohn zu erziehen habe. Was hat er verbrochen, dass du dich so gebärdest?«, fragte sie und schaute mitfühlend Magdalena und Benjamin an, die verschüchtert dastanden. »Hast du vergessen, was Mutterliebe ist?«, fragte sie leise.
»Was weißt du von meinen Gefühlen?«, zischte Franziska und blickte auf Christels gewölbten Leib. »Niemand weiß, wie ich leide und was ich täglich ertragen muss. Die Leute im Dorf tratschen hinter vorgehaltener Hand über mich, und manch einer verdammt mich«, sagte sie bitter und starrte vor sich hin. Dabei hob sie die Hand und berührte oberhalb ihrer Brüste den Stoff des Kittels.
Christels Blick folgte der Bewegung. Sie ahnte, wonach Franziska tastete.
Es war schon einige Jahre her, dass die beiden Frauen während der Arbeit im Gemüsegarten von einem heftigen Regenschauer überrascht worden waren. Es war ein windiger Oktobertag gewesen, und Franziska und Christel froren in ihrer durchnässten Kleidung, sodass sie nach Hause liefen und sich in der Küche umzogen. Dabei konnte Christel einen Schlüssel erkennen, der an einem hellen Band um Franziskas Hals hing. Sie wusste nicht, zu welchem Schloss er passte, und wagte nicht zu fragen. Weder damals noch heute.
Christel wandte den Blick Magdalena zu, die bewegungslos am Herd stand und ihre Mutter bekümmert ansah. Sie gab dem Mädchen vorsichtig ein Zeichen. Magdalena verstand und schlich mit Georg und ihrem Bruder aus dem Raum. Die beiden Jungen schienen erleichtert, die Küche verlassen zu können. Draußen hörte Christel ihren Sohn sagen: »Deine Mutter spinnt!«
»Setz dich«, bat Christel Franziska freundlich und nahm selbst Platz.
Franziska schien aus ihren Gedanken aufzutauchen und schaute sich verwundert um. »Wo sind die Kinder?«, fragte sie und setzte sich.
»Ich habe sie hinausgeschickt«, erklärte Christel leise und ergriff die Hand der Freundin. »Sage mir, wie ich dir helfen kann.«
Mit von Tränen verschleiertem Blick flüsterte Franziska: »Mir kann niemand helfen, Christel. Ich habe das Gefühl, dass ein Fluch auf mir liegt, den mir kein Mensch nehmen kann.«
»Das redest du dir ein, Franziska. Dich trifft keine Schuld«, versuchte Christel sanft zu erklären.
»Nein, das ist nicht wahr. Ich habe Schuld auf mich geladen. Johanns Vater tat damals recht, mich der Hexerei anzuklagen. Ich bin ein schlechter Mensch und habe Unglück über meinen Mann und meine Familie gebracht.«
Franziskas Verzweiflung trieb Christel die Tränen in die Augen. »Wenn ich dir nur helfen könnte«, flüsterte sie und wischte sich über das Gesicht.
»Niemand kann mir helfen«,
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