Der Hexenschwur: Roman (German Edition)
würde. Das Kind zitterte so erbärmlich, dass seine Zahnstummel aufeinanderschlugen. Als seine Zunge dazwischenkam, jaulte es schmerzerfüllt auf. Blut rann aus den Mundwinkeln.
Irgendwann schlief das Kind ein und träumte von warmem Essen. Der Schlüssel, der sich knarrend im Türschloss umdrehte, weckte es wieder.
Mutr, dachte das Kind und wimmerte leise. Da es keine Kraft hatte aufzustehen, blieb es liegen und horchte auf den Klang der Schritte, der ihm ankündigte, dass sie kam.
»Was ist mit dir?«, fragte die Frau mürrisch, als sie vor dem Kind stand und es regungslos liegen blieb. Da es nicht mehr als ein Krächzen zustande brachte, drehte es sich auf den Rücken und blickte mit trübem Blick zu der Frau empor.
»Steh auf, sonst mache ich dir Beine«, schimpfte sie, doch das Kind rührte sich nicht. Als ein heftiger Hustenanfall es nach Luft keuchen ließ, kniff die Frau die Augen zusammen und musterte es. Ungerührt zuckte sie mit den Schultern und stellte wortlos eine Schüssel Kohlgemüse neben dem Lager auf den Boden.
Sie wollte gerade die Treppe hinaufsteigen, als ein erneuter Hustenkrampf den dünnen Körper des Kindes schüttelte. Sein Atem ging rasselnd, und es rang nach Luft. Die Frau wandte sich dem Kind zu und betrachtete sein glühendes Gesicht.
»Das fehlt mir noch, dass du krepierst«, murmelte sie ungehalten und blickte sich in dem Kellerraum um. Die Kälte kroch durch ihre Kleider, und sie rieb sich über die Oberarme. »Dann wären all die Jahre umsonst gewesen«, murmelte sie. Ihr Atem war als weiße Wolke zu erkennen. Nachdenklich betrachtete sie das Kind und spielte dabei mit dem Schlüssel, der an einem Band um ihren Hals hing. Der Blick des Kindes folgte der Bewegung ihrer Hand. Es hatte den Gegenstand oft bemerkt, aber nicht begriffen, was es war. »Verdammt, verdammt, verdammt«, blaffte die Frau das Kind an, als es nieste und eitriger Rotz in den Raum flog. »Was soll ich mit dir machen?«, fragte sie und blickte angeekelt in die Ecke, in der das Kind seine Notdurft verrichtete. Die Fäkalien waren gefroren und stanken deshalb nicht.
»Iss, damit du zu Kräften kommst«, befahl sie und hob die Schüssel mit dem Gemüse auf. Als sie dem Kind den Napf reichte, wandte es den Blick ab.
»Seit fünf Jahren bist du ein gefräßiges Ungeheuer, das mir die Haare vom Kopf frisst«, brüllte sie das Kind an. »Iss endlich, damit du nicht hier krepierst.«
Erneut wandte das Kind den Kopf und blickte nun zur Wand. Wütend griff die Frau in die Schüssel und versuchte, dem Kind das Essen mit Gewalt in den Mund zu stopfen. Würgend heulte es auf und erbrach sich. Mit angstvoll aufgerissenen Augen blickte es die Frau an. Doch sie stopfte weiter. Als sich der geschundene Körper hustend aufbäumte, ergriff das Kind den Rocksaum der Frau und hielt ihn fest.
»Nimm deine Tatzen weg«, schrie sie und entriss ihm den Stoff.
Da sah das Kind, dass der Frau Tränen über die Wangen liefen. Es streckte seinen Hände aus und berührte dabei den Schlüssel, der durch die hastige Bewegung an der Schnur zu pendeln begonnen hatte.
»Lass das«, schrie die Frau und stieß das Kind von sich. Zornig rannte sie die Stufen hinauf und schloss die Tür mit einem lauten Knall.
Das Kind beugte vor Anstrengung keuchend den Oberkörper nach vorn. Der Kohl war auf seinem Lager verstreut. Sogar in seinen Haaren klebte das Gemüse. Mit langsamen Bewegungen zupfte das Kind einzelne Brocken aus den Strähnen und legte sie zurück in die Schüssel. Anschließend lehnte es sich ermattet zurück. Es dachte an die Frau und daran, wie sie geweint hatte. Als es merkte, wie auch ihm Tränen über die Wangen liefen, krächzte es verzweifelt: »MUTR!«
• Kapitel 8 •
Das Weihnachtsfest stand kurz bevor, und wie jedes Jahr konnten Georg und Benjamin den Tag kaum erwarten. Die Kinder saßen am Küchentisch und erzählten sich gegenseitig ihre Wünsche, wobei sie lachten und scherzten. Ihre Augen glänzten.
»Ihr glaubt, je lauter ihr eure Bitten hinausschreit, desto eher hört euch der Heilige Christ«, rügte Franziska die Burschen und blickte sie streng an.
Sogleich erlosch Benjamins Lachen, und er schaute auf die Tischplatte. Georg, der sich nichts aus Franziskas Unmut machte, blitzte sie mit seinen Augen schelmisch an. »Bis zum 25. Dezember ist es nicht mehr lang, und ich will gewiss sein, dass ich meine Geschenke bekomme. Und weil alle Kinder ihre Wünsche erfüllt haben wollen, kann es leicht geschehen, dass man
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