Der Hexenschwur: Roman (German Edition)
den Mund. »Ich habe seit ewigen Zeiten keinen mehr gegessen«, sagte er kauend und leckte sich die Finger.
Johann räusperte sich unwohl. »Es tut mir leid, dass du deine Frau verloren hast und dass ihr Hunger leidet. Zum Glück haben wir keine große Not ertragen müssen, denn wir kommen aus dem Land an der Saar, das bis jetzt größtenteils vom Krieg verschont geblieben ist«, erklärte er.
Der Fremde schaute ihn ungläubig an. »Ihr wollt mir erzählen, dass ihr aus einem Land kommt, in dem man genügend zu essen hat und wo man sicher leben kann?«
Johann zögerte, doch dann nickte er.
Der Mann kratzte sich an seinen Bartstoppeln und fragte nachdenklich: »Jetzt aber seid ihr auf dem Weg quer durchs Reich, in dem Krieg herrscht?«
Johann wusste, dass das wie Hohn für den Mann klingen musste, und er schämte sich. Der Aberwitz seines Vorhabens war ihm nie so klar gewesen wie in diesem Augenblick. Obwohl Clemens und Maria ihm dasselbe gesagt hatten, führte dieser Mann ihm das gefährliche Abenteuer seines Plans nun deutlich vor Augen.
»Welchen Grund hast du, deine Familie solch einer Gefahr auszusetzen?«, wollte er wissen und schaute zu Franziska, die ihren Blick senkte.
»Meine Frau und ich sind auf dem Eichsfeld geboren. Wir wollen es unseren Kindern zeigen«, erklärte Johann.
»Ausgerechnet jetzt?«, fragte der Mann fassungslos.
Als Johann nicht antwortete und Franziska ihren Mann bitterböse anblickte, mischte sich Magdalena ein. »Meine Großmutter liegt im Sterben, und wir wollen sie noch einmal sehen«, log sie.
Der Blick des Fremden wanderte von einem zum anderen, dann meinte er: »Das ist ein Grund.« Es war offensichtlich, dass er die Lüge nicht glaubte. Ohne ein weiteres Wort stand er auf und ging zum Eingang. »Der Sturm lässt nach, doch es regnet noch. Ich denke, dass es heute kein Weiterkommen geben wird, außer wir wollen wieder nass werden.«
Johann stellte sich neben ihn und schaute zum Himmel. »Es wäre wohl besser, wenn auch wir heute hier übernachten«, sagte er an Franziska gewandt, die ihn nicht anschaute. Er wusste, dass keine Antwort von ihr kommen würde, und murmelte deshalb: »Ich werde unsere Matratzen holen.«
»Ich helfe dir«, bot der Mann an und begleitete ihn hinaus. Kaum waren sie außer Hörweite, sagte er: »Bevor ihr weiterreist, möchte ich dir einen Ratschlag mit auf den Weg geben.« Er musterte Johann abfällig und sagte mit einer Stimme, die zynisch klang: »Ich denke, dass du blauäugig bist.«
Johann schwieg. Der Mann streckte die Hand aus und wies in die Richtung, in die Johann musste. »Einen halben Tag Fußmarsch von hier entfernt sind wir an einem Ort vorbeigekommen, der von einer Soldateska überfallen wurde.«
Johann sah ihn fragend an, und der Fremde erklärte: »Das sind abtrünnige Soldaten der übelsten Sorte. Sie schrecken vor nichts zurück, denn sie haben nichts zu verlieren. Sie rauben, brandschatzen und morden. Zum Glück konnte ich mich mit meinen Töchtern zwischen engem Buschwerk verstecken, sodass sie uns nicht entdeckt haben. Aber ich habe die Schreie der Menschen gehört und das Lachen ihrer Mörder. Nachdem sie weitergezogen waren, habe ich im Ort nach Überlebenden gesucht.« Sein Blick wurde starr. »Nicht einmal die Kinder haben sie verschont.«
Johann schluckte hart.
»Ich erzähle dir das, damit du auf der Hut bist. So wie du das Land an der Saar geschildert hast, muss es paradiesisch sein. Aber hier näherst du dich der Hölle. Du scheinst nicht zu wissen, auf was du dich bei deiner Reise eingelassen hast«, sagte er mit verächtlichem Ton und ging zurück in die Holzfällerhütte.
Johann konnte nicht schlafen, da das Gespräch mit dem Mann ihn beunruhigte. Nachdem er nachgedacht hatte, kam er zu dem Entschluss, dass sie weiterreisen würden. Uns wird nichts passieren. Nur noch wenige Tage, dann haben wir es geschafft, dachte er und rutschte näher an die Bretterwand der Hütte, um sich dagegenzulehnen. Müde schaute er zu seiner Familie, die dicht am Feuer lag. Benjamin drehte ihm sein schlafendes Gesicht zu, sodass es vom Licht der Glut beschienen wurde.
Johann stutzte. Zum ersten Mal bemerkte er, dass sein Sohn seiner Schwester Karoline glich, die er seit über siebzehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Anders als Magdalena, die hellblond und blauäugig war, hatte der Junge dunklere Haare und hellgraue Augen. Johann konnte nicht einordnen, warum ihn sein Sohn an Karoline erinnerte. Vielleicht war es die Art, wie
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