Der Hexenschwur: Roman (German Edition)
fortgegangen?«
Als seine Tochter die Frage ausgesprochen hatte, schlug Johanns Herz schneller. Er hatte schon seit einiger Zeit befürchtet, dass er dem Mädchen eines Tages die Geschichte würde erzählen müssen. Doch jetzt war nicht der rechte Augenblick, und er versuchte es schroff abzuweisen. »Das geht dich nichts an!«, erwiderte er brüsk.
Erstaunt sah Magdalena ihren Vater an, denn mit dieser Abfuhr hatte sie nicht gerechnet. Als sie in sein mürrisches Gesicht blickte, ärgerte sie sich, dass sie ihrer Neugierde nachgegeben hatte. Magdalena schluckte mehrmals, doch dann reckte sie das Kinn. Da es ausgesprochen war, wollte sie nicht nachgeben und erwiderte: »Ich denke schon, dass es mich etwas angeht. Schließlich zerrst du uns trotz Krieg durchs halbe Reich aufs Eichsfeld.« Dabei zog sie das Wort Krieg übertrieben in die Länge, sodass ihr Vater aufgeschreckt nach hinten zu seiner Frau schaute.
»Sie schlafen! Außerdem können sie uns nicht verstehen«, erklärte Magdalena.
»Woher willst du das wissen?«, zischte ihr Vater.
»Als Kind habe ich bei der Heuernte manchmal auf der Ladefläche gesessen, und du und Oheim Clemens vorn. Ihr beide habt lauthals gelacht, und ich wusste nicht, warum, weil ich hinten eure Gespräche nicht verstanden habe. Du kannst mir also alles erzählen!«
»Du bist so aufsässig wie deine Mutter«, schimpfte Johann und hoffte, seine Tochter mit der Schelte zum Schweigen zu bringen.
Aber erneut widersprach sie ihm: »Mir gefällt besser, dass ich so stur bin wie du«, wiederholte sie Marias Worte.
»Du hast uns belauscht!«, brummte Johann.
»Ihr habt vor meinem Lager gestanden und euch über mich unterhalten. Da musste ich zwangsläufig mithören.«
»Wir dachten, du würdest schlafen«, verteidigte sich ihr Vater.
»Nein, ich hielt nur die Augen geschlossen«, gab das Mädchen ehrlich zu. Johann blickte sie wütend an und wollte etwas sagen, doch dann schloss er den Mund, und sein Blick wurde sanft.
»Ich bin die Tochter meines Vaters!«, sagte Magdalena und lächelte zaghaft, sodass Johann laut seufzte. »Erzählst du mir nun, was damals vorgefallen ist?«
Johann grübelte, dann gab er nach. Erneut blickte er zu seiner Frau, die ruhig dalag und zu schlafen schien, ebenso wie sein Sohn. »Also gut, mein Kind. Du gibst sonst keine Ruhe.« Er holte tief Luft und begann zu erzählen: »Ich war damals kaum älter als du, als ich deine Mutter kennen und lieben lernte …«
Magdalena hing an seinen Lippen und hörte zum ersten Mal, dass man ihre Mutter als junges Mädchen der Hexerei bezichtigt hatte und dass sie angeklagt werden sollte. »Mein Vater hatte für mich bereits die Tochter eines reichen Schweinezüchters als Eheweib ausgesucht. Als ich ihm mitteilte, dass ich deine Mutter heiraten wollte, unterstellte er ihr plötzlich, dass sie Schadenszauber verübt hätte. Er konnte ihr das nicht nachweisen und erklärte schließlich, dass ein Hexenmal auf ihrem Rücken sie verraten würde.«
Als das Mädchen erfuhr, dass man ihre Mutter gefangen nehmen und auf den Scheiterhaufen hatte bringen wollen, riss sie erschrocken die Augen auf.
»Wir hatten uns kaum das Jawort auf Burg Bodenstein gegeben, als eine Meute Männer aus dem Tal zur Festung hinaufstürmte. Mit einer List halfen deine Großmutter und die Burgherren uns zu fliehen. Wochenlang sind wir umhergeirrt und wussten nicht, wohin. Unterwegs lernten wir Clemens und noch einige andere kennen, die ein ähnliches Schicksal hatten. Wir rotteten uns zusammen und kamen gemeinsam ins Land an der Saar, das unsere neue Heimat werden sollte.«
Magdalena war bestürzt und fassungslos. »Was wird dein Vater sagen, wenn wir auf seinen Hof zurückkehren? Wird er Mutter in Ruhe lassen?«, fragte sie ängstlich.
Johann sah seine Tochter an und schwieg, statt ihr eine Antwort zu geben.
»Was ist, Vater?«, fragte Magdalena leise.
»Dein Großvater liegt seit vielen Jahren in Wellingen beerdigt.«
Magdalena glaubte sich verhört zu haben, doch ihr Vater wiederholte seine Worte.
»Ich bin vollkommen durcheinander«, flüsterte das Mädchen. »Hilf mir, das zu verstehen«, bat sie den Vater.
Und er erzählte auch diesen Teil der Geschichte.
»Mein eigener Großvater hat versucht, Mutter und mich zu ertränken?«, fragte Magdalena bestürzt.
Johann wollte seine Tochter nicht noch mehr verunsichern und verschwieg ihr, dass Bonner nicht sein leiblicher Vater und somit auch nicht ihr Großvater war. »Sein Geist war
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