Der Hexer - NR20 - Unter dem Vulkan
mich schon halb herumgedreht und einen Schritt in den Gang hineingetan hatte.
Verärgert blieb ich stehen, drehte mich ganz herum – und starrte verblüfft ins Leere.
Jennifer war nicht mehr da. Der Gang hinter mir war leer.
»Jenny?« rief ich. »Wo bist du?« Ich lauschte einen Moment, aber alles, was ich hörte, war das verzerrte Echo meiner eigenen Stimme und das unablässige Brodeln und Zischen der Lava.
»Verdammt noch mal, was soll das?« rief ich, schon ein wenig lauter. »Wir haben keine Zeit für Spielchen!«
Aber es war auch kein Spiel. Jennifer war verschwunden. Entweder zurückgeblieben oder – und diese Vermutung lag erstens näher und war zweitens weit unangenehmer – in den anderen Gang hineingegangen, ohne daß ich es bemerkt hatte.
Ich schluckte einen Fluch herunter, packte mein Gewehr fester und machte mich mit klopfendem Herzen auf.
Das rote Licht steigerte sich zu einer grellen Lohe, kaum daß ich die Gangbiegung erreicht hatte. Alles, was weiter als zehn oder fünfzehn Schritte vor mir lag, schien in einem Meer roter Helligkeit aufgelöst zu sein wie in brennender Säure. Meine Haut begann zu prickeln. Die Metallteile des Gewehres wurden unerträglich heiß. Für einen Moment steigerte ich mich in die absurde Vorstellung hinein, daß die Hitze so weit ansteigen würde, bis die Munition meiner Waffe explodierte. Ich verscheuchte den Gedanken und ging weiter.
Nach einem Dutzend Schritte weitete sich der Gang zu einer gewaltigen, domartigen Höhle, die von wabernder Hitze und dem Zischen und Gluckern weißglühender Lava erfüllt war. Abrupt blieb ich stehen.
Direkt vor mir begann eine Art steinerner Brücke, aber ich wagte nicht, sie zu betreten, denn die Lava war so weit in die Höhe gestiegen, daß der Fels nurmehr wenige Fingerbreit aus der kochenden Masse herausragte. Selbst wenn er mein Gewicht noch trug – wovon ich nicht unbedingt überzeugt war –, mußte er glühend heiß sein.
Von Jennifer war keine Spur zu sehen. Aber das war es nicht einmal, was mich so abrupt stehenbleiben ließ. Es war vielmehr der Umstand, daß ich diese Höhle kannte. Ich war schon hier gewesen.
Aber damals hatte sie anders ausgesehen, völlig anders. Die zahllosen rechteckigen Lavapfützen, die sich beiderseits des Steinpfades reihten, waren drei Yards tiefe Gruben gewesen, Zellen gleich, in denen Dagon seine unglücklichen Opfer gefangenhielt. Es waren hunderte gewesen.
Und ich wußte, was sie in lavagefüllte Höllenkessel verwandelt hatte. Opfer.
Menschenopfer, die dargebracht wurden, damit aus Dagons Dämoneneiern die schrecklichen Ssaddit wurden...
Trotz der unerträglichen Hitze begann ich plötzlich zu frieren. Auch wenn ich unbewußt wohl geahnt haben mochte, was mich erwartete, traf mich der Anblick wie ein Fausthieb. Wie in einer furchtbaren Vision sah ich noch einmal das gewaltige, schwammige Ungeheuer aus dem Meer auftauchen, Dagons Mörderwurm, den er ausgesandt hatte, Opfer für seine gräßlichen Zeremonien zu finden, sah es die wehrlosen Eingeborenen an Land speien, sah Dagons Sklaven die Männer und Frauen mit Peitschenhieben hier hereintreiben.
Ich war zu spät gekommen. Ich wußte nicht einmal, ob ich wirklich hier war, um die Majunde zu retten, oder nur Shannons wegen, aber gleich, was der wahre Grund gewesen sein mochte – ich hatte versagt. Minutenlang stand ich so da, gelähmt vor ungläubigem Schrecken und Entsetzen, bis es mir gelang, mich wenigstens herumzudrehen.
Ich war nicht einmal überrascht, als ich die Gestalt hinter mir erblickte.
* * *
»Natürlich ich«, sagte Jennifer kühl. »Wen haben Sie erwartet?«
»Wie... wie kommen Sie hier...«, stammelte Howard, brach plötzlich mitten im Wort ab und trat mit einem zornigen Schritt auf das dunkelhaarige Mädchen zu. »Das ist Ihr Werk!« schrie er. »Diese Ungeheuer sind –«
»Machen Sie mich nicht für Dinge verantwortlich, die Ihre Schuld sind«, unterbrach ihn Jennifer kalt. »Nichts von alledem wäre geschehen, hätten Sie Ihr Wort gehalten.«
Howard stöhnte vor Wut. Er ballte die Faust und machte noch einen Schritt in Jennifers Richtung, blieb dann aber wieder stehen. Irgend etwas sagte ihm, daß es sinnlos wäre, das Mädchen angreifen zu wollen.
Erneut durchlief ein tiefes, mahlendes Geräusch den Rumpf des Unterseebootes, und diesmal hatte Howard ganz deutlich das Gefühl, das Schiff bis in seine letzten Verspannungen erbeben zu spüren. »Ist das Ihre Rache?« fragte er matt.
»Rache?«
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