Der Hexer - NR26 - Die Gruft der weissen Götter
getroffen zu werden. Und jetzt kommt weiter. Ich will aus diesem Rattenloch heraus, so schnell es geht!«
Niemand von uns hatte etwas dagegen einzuwenden.
Und keiner von uns warf auch nur noch einen Blick auf die schreckliche Karikatur eines Menschen, die zwischen den versteinerten Gestalten der Wikinger hockte...
* * *
Tiefer und tiefer drangen wir in das Labyrinth der Tropfsteinhöhle vor. Unsere Fackeln brannten eine nach der anderen herunter, und obgleich wir einen großen Vorrat davon mitgenommen hatten, war der Moment abzusehen, in dem wir in absolute Dunkelheit gehüllt sein würden, denn die Pechfackeln waren jahrhundertealt und brannten viel schneller ab, als normal gewesen wäre. Und der Weg nahm kein Ende.
Nicht immer bewegten wir uns dabei zwischen versteinerten Kriegern oder Wikingern. Über große Strecken hinweg war es nichts als eine – scheinbar – ganz normale Tropfsteinhöhle. Aber keiner von uns hatte vergessen, was Annie passiert war, ich am allerwenigsten, und manchmal führten wir einen regelrechten Veitstanz auf, um den gleichmäßig fallenden Wassertropfen zu entgehen.
Ich hatte meine letzte Reservefackel aus dem Gürtel gezogen und am Stumpf ihrer Vorgängerin entzündet, und auch Cody, der jetzt dicht neben mir ging, die rechte Hand auf den Revolvergriff gelegt, hatte seine letzte Fackel angezündet. Sie war schon so weit heruntergebrannt, daß die Flammen binnen kurzem seine Finger berühren mußten. Der Gedanke, in vollkommener Dunkelheit durch dieses schreckliche Labyrinth stolpern zu sollen, erfüllte mich mit einem Gefühl, das ich nicht unbedingt mit Freude beschreiben würde...
Aber es kam anders. Cody stockte plötzlich im Schritt, kniff die Augen zusammen und senkte seine Fackel, um nicht durch ihren Lichtschein geblendet zu werden. Und als ich eine Weile konzentriert in die gleiche Richtung gestarrt hatte wie er, sah auch ich einen blassen Lichtschein, noch sehr weit von uns entfernt.
»Der Ausgang!« keuchte Cody erleichtert. »Wir... wir haben es geschafft.«
Die einzige, die ebenfalls in sein erleichtertes Seufzen einstimmte, war Annie Oakley. Sowohl Sitting Bull als auch ich spürten deutlicher denn je, daß uns diese Höhle ganz gewiß nicht so einfach wieder hinausspazieren lassen würde. Und auch Postlethwaite wirkte sonderbar bedrückt und schweigsam. Vielleicht wußte er doch mehr über das Innere dieses verwunschenen Berges, als er bisher zugegeben hatte.
Trotzdem spornte uns das Licht an, ein wenig schneller zu gehen. Es wurde rasch stärker und wuchs von einem blassen flackernden Schemen zu einem Kreis milder Helligkeit heran.
Aber es war kein Tageslicht, sondern ein schattenloser gelber Schein mit einem ganz sachten Stich ins Grünliche, der schmale flirrende Lichtfinger in die Höhle zu senden schien. Wieder hatte ich das Gefühl, dieses Licht zu kennen. Und wieder wußte ich nicht, woher.
Die letzten paar Dutzend Schritte zum Höhlenausgang rannten wir fast. Codys Fackel erlosch, dann die Sitting Bulls, und auch ich warf das brennende Scheit in hohem Bogen von mir, ehe es mir die Finger versengen konnte.
Keiner von uns rechnete noch ernsthaft damit, wirklich die Erdoberfläche zu erblicken, als wir vor dem kreisförmigen Felsdurchbruch angelangt waren und, angeführt von Cody und Annie Oakley, die mit schußbereiten Waffen die Spitze bildeten, hindurchgingen.
Plötzlich blieb Bill stehen und hob alarmiert die rechte Hand, und auch Annie ergriff ihr Gewehr fester und stockte mitten im Schritt.
»Was ist?« fragte ich alarmiert. Cody antwortete nicht gleich. »Ich... ich dachte, ich hätte etwas gesehen«, murmelte er schließlich.
»Du dachtest?«
Cody schüttelte den Kopf. »Ich muß mich getäuscht haben«, murmelte er. »Kommt weiter.«
Noch langsamer als zuvor gingen wir weiter. Der runde Tunnel, der die Tropfsteinhöhle mit der Quelle des gelben Lichtes verband, war nicht sehr lang, und schon nach wenigen Augenblicken hatten wir ihn durchquert.
Vor uns lag eine weitere Höhle. Sie war gigantisch, so groß, daß der Buckingham-Palast hineingepaßt hätte, und ganz von dem gelblich-grünen, unheimlichen Licht erfüllt, das aus keiner bestimmten Quelle kam, sondern die Luft selbst zum Glühen brachte. Und sie hatte keinen Boden.
Hinter dem Höhleneingang lag ein vielleicht fünfzehn Fuß breiter, spiegelglatter felsiger Streifen, der wie eine Galerie rings um den gewaltigen Hohlraum lief und auf den zahllose andere, kreisrunde Gänge
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