Der Hexer - NR27 - Todesvisionen
den Schein des Feuers vertilgt und den Platz am Wasserloch in taghelles Licht getaucht.
Und immer noch wurde er größer und größer.
Schweigend sahen wir der Erscheinung entgegen, unfähig, auch nur einen Muskel zu bewegen oder die Augenlider zu schließen. Das kalte Licht brannte sich gnadenlos in unsere Gehirne, verglühte unsere Gedanken in eisigem Feuer. Ich hörte, wie Annie neben mir gequält aufstöhnte, doch genau wie ich war sie unfähig, sich abzuwenden.
Dann explodierte die Nacht.
Mit einem Male war die Luft über der Wüste ein einziges Kaleidoskop wirbelnder Farben und berstender Sonnen. Durch das Singen, das sich im gleichen Moment zu einem kreischenden, grellen Crescendo gesteigert hatte, hörte ich die entsetzten Stimmen meiner Gefährten, schrie selbst wie von Sinnen; es war die einzige Reaktion, zu der wir noch fähig waren. Das Licht wuchs empor zu einem wirbelnden, alles verschlingenden Mahlstrom, steigerte sich zu kaum erträglichem Glanz –
und erlosch.
Der Wechsel kam so plötzlich, so unerwartet, daß wir in den ersten Augenblicken gar nicht erkannten, was geschah.
Dann kam die Nacht wie ein mentaler, mit aller Kraft geführter Schlag zurück, bohrte sich in unsere Augen und löschte die pulsierende Glut in unseren Gedanken. Linderung brachte sie nicht.
Für Ewigkeiten, wie es mir schien, waren wir blind. Feurige Kreise tanzten vor meinen Augen, und ein sinnverwirrender Schwindel erfaßte mich. Nur mit Mühe konnte ich ihn zurückdrängen und meine Gedanken sammeln.
Dann war es vorbei. Der milde Schein des Lagerfeuers (nach dem unglaublich hellen Inferno fast schon ein dunkles Feuer) drang wieder in unser Bewußtsein und schob die tanzenden Kreise beiseite...
Annie schrie gellend auf und preßte sich dicht an mich.
Ich bemerkte es kaum. Fassungslos starrte ich auf die unglaubliche Szenerie, die sich unseren Augen bot. Ich weiß nicht, was ich nach Shadows Warnung erwartet hatte, aber gewiß hatte es keinerlei Ähnlichkeit mit dem, was ich nun sah.
Zwei Pferde, schwarz wie die Nacht und mit einer spröden, mumifizierten Haut, die sich wie Gewebe aus Spinnfäden über die Knochen legte. Pferde mit glühenden Augen, deren Hufe den Wüstenboden nicht berührten. Pferde mit prachtvollen, aber uralten, verblichenen Decken und ledernem Zaumzeug. Pferde, auf denen Menschen saßen!
Zumindest glaubte ich im ersten Moment, daß es Menschen wären, denn verglichen mit den Tieren sahen sie fast lebendig aus; zwar auch in zerschlissene, blutbefleckte und brüchig gewordene Kleidung gehüllt, aber mit straffer, unversehrter Haut.
Aber ihre Augen waren tot. Und ihr Blick barg das Grauen.
Es waren ein hagerer, hochgewachsener Mann mit langen, aschfahlen Haaren, in die Generalsuniform der US-Kavallerie gekleidet, und eine Indianerin im einfachen gewobenen Kleid. Und obwohl die Gestalt des Mannes um vieles imposanter war, erkannte ich sofort, von wem der dunkle Hauch fremder Magie ausging, den ich im Augenblick ihres Erscheinens gespürt hatte.
Und dazu hätte es nicht einmal Shadows Worte bedurft. Die Woge des Hasses, die uns aus den toten Augen der Squaw entgegenwallte, ließ mich erschaudern.
»Custer«, flüsterte Bill Cody neben mir. In der Stille, die uns mit einem Male umfangen hatte, klang seine Stimme überlaut in meinen Ohren. Aber sie hatte den Bann gebrochen. Ich fuhr zu Bill herum.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte er den beiden Gestalten entgegen, und seine Lippen bebten. »Custer«, flüsterte er noch einmal, und erst jetzt begriff ich die volle Bedeutung dieses Namens.
George Armstrong Custer! Der Mann, der von Sitting Bulls Kriegern getötet worden war; vor fast genau zehn Jahren!
Mit einem Keuchen wandte ich mich zu dem alten Häuptling um. Aber wenn ich erwartet hatte, Sitting Bull furchtsam oder zumindest erschrocken zu finden, sah ich mich getäuscht.
Auf dem faltenreichen Antlitz regte sich keine Miene. Sitting Bull blickte den Schreckensgestalten entgegen wie... einen Moment lang suchte ich nach dem passenden Wort, und als ich es schließlich fand, durchfuhr mich ein eisiger Schrecken: wie ein Mann, der bereits mit seinem Leben abgeschlossen hatte!
Dann sprach Sitting Bull, und ich mußte erkennen, daß ich mich wieder einmal – wie schon so oft in dieser haarsträubenden Geschichte – gründlich geirrt hatte. Denn er schien Custer, seinen Todfeind, gar nicht zu beachten, sondern wandte sich der Indianerin zu.
»Nun also treffen sich unsere Pfade,
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