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Der Hexer - NR27 - Todesvisionen

Der Hexer - NR27 - Todesvisionen

Titel: Der Hexer - NR27 - Todesvisionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verschiedene
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ich haltlos zurückwankte.
    Als ich zu fallen drohte, waren Shadow und Bill schon heran und stützten mich. Ich hörte ihre besorgten Stimmen, aber ich verstand den Sinn der Worte nicht. Es war, als hätte sich ein wattiger, finsterer Nebel um mein Gehirn gelegt und versuchte nun, meine Gedanken zu ersticken. Wieder wollte mir der Traum entgleiten wie ein lebendes Ding, aber diesmal hielt ich ihn fest; beinahe gegen meinen eigenen Willen. Das Blut rauschte mir in den Ohren, und vor meinem inneren Auge lief die furchtbare Vision der Nacht noch einmal ab, in all ihrer erschreckenden Klarheit.
    Und gleichzeitig begann sich ein Gedanke in mein Bewußtsein zu drängen, der noch schrecklicher war als die Erinnerung an den Traum selbst.
    Der Gedanke, daß es kein Traum gewesen sein konnte, sondern eine furchtbare, fremde Form der Realität. Wie konnte mein Arm durch einen Traum verletzt werden, wie ein Dolch durch eine Vision zerbrechen?
    Aber waren dann nicht auch all diese anderen, grauenvollen Alpträume...
    Plötzlich erklang ein schrilles, hysterisches Lachen, und erst, als etwas mit schmerzhafter Wucht mein Gesicht traf, erkannte ich, daß es meine Stimme war. Für Sekunden – oder Ewigkeiten – balancierte mein Geist noch auf dem schmalen Grat zwischen Vernunft und Wahnsinn, dann rissen mich Bills Schläge endgültig in die Wirklichkeit zurück. Es war wie das Erwachen aus tiefer Ohnmacht.
    »Ganz ruhig, Robert. Alles ist gut.«
    Die Worte kamen aus dem Nichts und waren von solch hypnotischer Kraft, daß meine rasenden Gedanken wie mit einem Ruck zum Stillstand kamen.
    Es war Shadows Stimme, die ich hörte, und als sich die dunklen Nebel hoben, erkannte ich ihr Gesicht dicht vor dem meinen. Ich wußte nicht, was sie tat, doch ahnte ich jetzt, daß mich nicht allein Bills Ohrfeigen vor dem Irrsinn bewahrt hatten.
    »O mein Gott!« Shadow schrie auf und zog ihre Geistfühler in blinder Hast zurück. Ihr Gesicht verschwand, und als ich noch immer benommen nach unten blickte, sah ich, wie sie zu Boden sank. Sie konnte nur für Sekunden mit meinem Geist verschmolzen gewesen sein, um ihn zu beeinflussen und zu beruhigen, und doch mußte sie all meine Alpträume, all den Schrecken der letzten Wochen in diesem Moment selbst durchlebt haben.
    Jetzt war es an mir, ihr beizustehen. Ich streifte Bills Hände ab, ignorierte die Rufe und Fragen, die von allen Seiten auf mich eindrangen, und kniete neben Shadow nieder. Aber meine Hilfe war nicht notwendig. In dieser Sekunde schlug sie die Augen auf. Tränen rannen über ihre Wangen; ihr Blick flackerte.
    »Warum... warum hast du mir nichts davon gesagt?« flüsterte sie, und in ihrer Stimme klang noch ein schwacher Abglanz des Grauens nach, das sie gesehen hatte.
    Ich wischte ihr die Tränen mit dem Handrücken fort und sah sie fast schuldbewußt an. »Es waren Träume, Shadow; nur böse Träume. Bisher jedenfalls«, fügte ich hinzu und hob Sitting Bulls zerbrochenen Dolch vom Boden auf. »Jetzt sind sie... Wirklichkeit geworden.«

    * * *

    Ein kalter Wind kam auf und peitschte Myriaden von Schneeflocken gegen die nackten Steine und das verkrüppelte Baumgeflecht, das allein hier zu wachsen vermochte. Ein dumpfes Heulen erklang, als sich der Sturm in den bizarren, scharfkantigen Felsen fing, sich zu winzigen Strudeln sammelte und wieder auseinanderstob.
    Das Land lag im Dämmerlicht; eine ewige Dämmerung, denn hier oben, nahe dem Gipfel des Little Rock, wurde es niemals richtig hell.
    Dabei war, wie der Name schon sagt, der Berg nicht einmal sonderlich hoch. Und wenn auch die umliegenden Gebirgszüge unter der Hitze des Sommers glühten, so herrschten hier Kälte und Tod das ganze Jahr hindurch.
    Die Weißen, von Mythen und Sagen unberührt, hatten dieses wohl einzigartige Phänomen als eine Laune der Natur abgetan und sich nicht weiter damit beschäftigt. Für sie zählte allein der Wert eines Landstrichs, und der Little Rock konnte allenfalls mit Eis und Fels aufwarten.
    Für die Indianer war der Berg heilig. Ein böses Heiligtum, denn die Überlieferungen sprachen von Dämonen, die den Gipfel bewohnten. Dunkle, körperlose Schatten sollten dort hausen und die Seelen derer, die ihr Leben als Feiglinge im Kampf verloren, ewiger Qual preisgeben. Doch selbst die bösen Geister hatten ihren Platz im Leben der Indianer, und so war es bei den Stammeszauberern der umliegenden Völker Sitte, jedes Jahr zur Sommersonnenwende zum ewigen Eis des Little Rock zu ziehen und die Schatten

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